Hallo Thomas,
In den 80-er Jahren gab es eine Untersuchungsreihe, deren Ziel es war Zeichensysteme zu entwickeln, die noch in 10Tsd Jahren von den Erdbewohner verstanden werden könnten. Es ging damals um die Kennzeichnung von nuklearem Abfall und dessen Endlager; denn manche Nukleide haben eine Halbwertszeit von 20Tsd Jahren.
Keine leichte Aufgabe. Ich bin sicher, dass das, was wir heute "Hieroglyphen" nennen, urspruenglich sehr verstaendliche Zeichen waren, von denen ihre Benutzer ueberzeugt waren, dass sie langfristig verstanden werden (sonst haetten sie sie nicht in Stein gemeisselt). Und wir heute moegen zwar technisch weiter sein, aber was unsere Zeichenkultur betrifft, glaube ich kaum, dass wir viel weiter sind. Im Gegenteil - auch die Zeichen vermehren sich bei uns (wie fast alles) inflationaer, was dazu fuehrt, dass es fuer viele Bedeutungen mehrere, konkurrierende Zeichen gibt, und noch mehr Zeichen, die fuer irgendwas geschaffen wurden, aber schnell ihre Bedeutung verlieren und dann nur noch als leere Huelsen existieren.
Es gibt zwar Zeichen, die einigermassen allgemeinverstaendlich sind (bestimmte menschliche Gesten z.B. wie Laecheln, Stirnrunzeln usw.), aber selbst da sollte man vorsichtig sein - die Griechen schuetteln z.B. den Kopf, wenn sie bejahend zustimmen.
Aussichtsreicher als einzelne Zeichen fuer zukunftssicher zu halten erscheint es mir, dies von Zeichensystemen zu erhoffen. Denn einzelne Zeichen geben keine weiteren Anhaltspunkte. Zeichensysteme dagegen fuehren zu Kombinatorik, und die erkennbaren Regeln der Kombination koennen bei der Entschluesselung helfen.
Eine sehr interessante Frage war dabei die Frage nach der Entsorgung von Wissen: das Wissen veraltert wissen wir auch, auch wenn wir es nicht unbedingt immer bewusst wahrnehmen: bei technischen Wissen nennen wir die Entsorgung Fortschritt, d.h. altes Wissen wird überschrieben. Probleme tauchen dann auf wenn es um zivilisatorische Fragen geht, also um kulturelles, philosophisches, geschichtliches Wissen.
Beim technischen Fortschritt ist es einfach: alles, was ueberholt ist, kommt ins Deutsche Museum ;-)
Aber beim kulturellen Fortschritt, bei dem erst mal zu fragen ist, ob es ihn ueberhaupt gibt, muss das "Bewahren" anders aussehen. Ein Museum hilft da nicht weiter. Die guten Stuecke der Vergangenheit muessen in dem Fall in unseren Koepfen untergebracht werden und dort irgendwie weiterwirken. Wichtig ist dabei die richtige Installation. In der Schule beim Pauken wird einfach versucht, irgendwas ohne Installationsroutine in die Koepfe zu stopfen. Die Folge sind Datenleichen. Wir brauchen also erst mal eine Kultur der Auseinandersetzung mit vergangener Kultur.
- menschliches Gedächtnis 70-120 Jahre
- Felsenmalerei 10000 - 20000 Jahre
- Papyros 2000 - 2500 Jahre
- Recyclingpapier 10 - 30 Jahre
- Filme und Mikrofilme 50 - 400 Jahre
- Disketten 5-10 Jahre
- Video 10 - 30 Jahre
- CD 10 - 30 Jahre (20 - 100 Jahre)
- Chip 20 Jahre
- Stahlplatte der Voyager (in Vakuum) 1.000.000 Jahre
Eine Entwicklung sollte man dabei aber nicht unterschaetzen: mit dem Internet loesen sich die Daten von dem Zwang eines bestimmten, einmaligen Speicherorts. Schon mit dem Buchdruck hat ja eine Entwicklung eingesetzt, in der das "geistige Gut" nicht nur einmal, sondern etliche male gespeichert war. Mit den elektronischen Netzen geht dies weiter. Wohin, weiss ich allerdings auch nicht ;-)
viele Gruesse
Stefan Muenz