Stephan Huber: The long now - das lange Jetzt

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Hallo Stefan,

bevor hier wieder alles in den vorherrschenden Fragen ertrinkt, wollen wir uns und einigen neueren Besuchern vielleicht doch auch mal doch auch mal wieder zeigen, dass es in diesem Forum auch um andere Dinge gehen kann, gehen darf.

Das gefällt mir sehr gut, eigentlich 'lurke' ich im letzten Jahr nur noch, und zeitweise (insbesondere vor den Schließungen) war das Forum ein recht sinnfälliges Beispiel für die Beschleunigung der Zeit durch das Internet - weniger ein Ort zum langfristigen Denken, als einer für schnelle 'ich hab' morgen deadline'-Lösungen (deadline finde ich übrigens einen sehr passenden Ausdruck). (außerdem ist das Forum immer noch ein nettes soziologisches Studienobjekt, nebenbei bemerkt...)

* Ist so ein Projekt wie "the long now foundation" und die Langzeituhr noetig, um unser Bewusstsein fuer lange Zeitraeume zu schaerfen? Kann man das auch mit anderen Mitteln trainieren?

Ich denke nicht, daß man so ein Bewußtsein überhaupt schaffen kann - Es ist nun mal so, daß Menschen in dem Zeitbewußtsein ihres Lebensrhytmus leben, und der ist eigentlich auf so ca. 30 Jahre angelegt - wem fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, 70 oder 80 zu sein? Methoden, sich lange Zeiträume vorzustellen, gibt es denke ich genug, am Besten ist wohl immer noch das Betrachten des Sternenhimmels mit der Erkenntnis, daß das Licht, daß einen erreicht, ein paar Millionen Jahre alt sein kann. Aber das Ergebnis ist zumindest bei mir immer eine mehr oder weniger religiöse Ehrfurcht vor dem Ganzen, weniger ein wirkliches 'Zeitbewußtsein'. Gleiches gilt z.B. beim Betrachten antiker Gebäude, wenn man sich vorstellt, daß seit dem Bau 50-100 Generationen 'vorbeigegangen' sind (am Gebäude und am Leben) - ich denke nicht, daß das für einen Normalsterblichen anders als mit einer gewissen emotionalen Ehrfurcht zu verbinden ist. Gleiches gilt für das Uhrprojekt - für uns heute ist es eine Kunstinstallation, für spätere Generationen wird es vielleicht ein ebensolches Gefühl der Ehrfurcht, die wir beim Betrachten z.B. der Pyramiden empfinden, hervorrufen.
Auffällig scheint mir dabei die Zweideutigkeit zwischen Langzeitdenken, und dem Versuch, in dieser beschleunigten Welt ein einigermaßen 'menschliches' Level an Ausleben der Zeit zurückzubehalten. Das ist auch an den Antworten recht deutlich - während das Thema eigentlich 'Bewußtsein für lange Zeiträume' war, sind viele Antworten eher auf die zweite Frage gerichtet, wie es möglich ist, in dieser schönen neuen Welt ein Leben zu führen, in dem die Zeit nach 'menschenmöglichen Sekunden' tickt.

* Ist es moeglich, dass unser exponentieller Geschwindigkeitsrausch irgendwann grausam kollabiert? Oder wird er eher in eine neue Dimension uebergehen, also etwa in eine Art "Zeitunabhaengigkeit" (beliebige Zellerneuerung fuer Leben, beliebig schnelle Raumueberbrueckung durch Beamen usw.)?

Global gesehen, ist wohl schwer zu sagen, ob der Geschwindigkeitsrausch kollabiert, zumindest technologisch ist relativ klar vorauszusagen, daß er sich eher beschleunigt. Aber ich glaube nicht, daß die Menschen langfristig damit zurechtkommen, schon heute ist es ja so, daß in den Branchen, die diese Geschwindigkeit verursachen (Internet, Telco, Biotech) fast keiner über 35 Jahren in den produzierenden Bereichen arbeitet (also die, die am Ende der Produktionskette den Zeitdruck ausbaden). Und aus meiner Erfahrung kann man den exzessiven cash-burn-rates ebenso exzessive human-burn-out-rates gegenüberstellen. Ich kenne genügend, die für ein paar Jahre in einem Startup oder einer Multimediaagentur gearbeitet haben, und danach wirklich in jedem Sinn ausgebrannt waren.

* Kann man "Bewusstsein fuer lange Zeitraeume" in die Alltagspraxis umsetzen? (Langsamer sprechen, mehr Zeit zum Antworten lassen, bei Terminnennungen von Auftraggebern milde laecheln ;-)?

Kommunikation ist dummerweise immer zweiseitig - wenn ich bei meinen Auftraggebern bei Terminnennungen nur milde laechle, fuehrt das langfristig zu nichts, außer sie haben ungefähr den gleichen Zeitrhythmus - sonst ist der einzige Erfolg, daß aus 'mach's bis samstag 0 Uhr' 'mach's bis sonntag mittag' wird, wenn ich nicht jedesmal einen Grundsatzgrabenstreit anfange. Persönlich habe ich das Problem so gelöst, daß Aufträge, die es prinzipiell nicht ermöglichen, in einem Monat spontan ein paar Tage in Urlaub zu fahren, schlicht und einfach ein Unding sind. Auch wenn dafür ein paar Auftraggeber ins virtuelle /dev/null beißen ;-).

* Wenn ihr versuchen wolltet, ein Webprojekt aufzuziehen, dass sich mit dieser Thematik befasst und etwas zum Thema "Langzeitdenken" beitragen wolltet - wie wuerdet ihr das angehen? Anders ausgedrueckt: habt ihr euch auch schon mal um "langfristige Datenhaltung" und dergleichen Gedanken gemacht?

Ehrlich gesagt, wäre mein Projekt ein http-redirect in die normale Welt, am besten zum Bergsteigen, Wandern, oder einfach ausspannen an einem Ort ohne Telefon, Email und Computer. Ein Webprojekt zur 'Entdeckung der Langsamkeit' würde ich etwas verdreht finden, denn schließlich, welche Vorteile das Internet auch gebracht hat, es ist definitiv das Medium, daß am meisten zur Beschleunigung des Zeitrhytmus beigetragen hat.
Meine Stellung zu 'langfristiger Datenhaltung' ist, daß ein bißchen Datenverlust nun wirklich nicht schaden kann - was verloren geht, hat wohl dann auch mindestens 10-20 Jahre keinen interessiert - und unsere Gesellschaft ertrinkt sowieso in Informationen, die keiner mehr wirklich analysieren kann.

Viele Grüße
Stephan

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