Moin,
ach stefan, dass ist alles ganz schwer. Ich habe mit der deutschen _Einheit_ immer so meine Problem gehabt und habe sie immer noch.
Ich kann mit den "Ossis" soviel und sowenig anfangen wie mit den NRW‚lern oder den Bayern. Ich bin Schleswig-Holsteiner (genauer und für mich wesentlicher: Landesteil Schleswig). Und so fühle ich auch. Wenn ich aus dem Urlaub heim komme, dann bin ich nicht auf dem Hamburger Flughafen "wieder zurück", sondern erst dann, wenn ich das Schild Schleswig-Holstein seh. Ist halt so: ich fühl mich erst wieder wohl, wenn ich die Ostsee rieche und den Dänischen Wohld (so nennt sich ein kleiner Landstrich nördlich Kiels) im Rücken spüre. Schon die "Wessis" waren für mich nie eine Einheit, brauchten es auch nie zu sein. Wofür auch?
Deshalb kann ich das Gedusele um den vermeindlichen Jahrestag der vermeindlichen deutschen Einheit nicht nachvollziehen. Den Menschen in der DDR ging es doch hoffentlich zunächst um _Freiheit_, vielleicht noch um Demokratie und Selbstbestimmung. Aber die Frage der "Einheit" kann doch nicht relevant für die Demonstrierenden in Leipzig oder anderswo gewesen sein! Denn so gut wie die Freiheit kann Jacobs Krönung nie und nimmer schmecken. Das wir derzeit in einem staatlichen Gebilde leben, kann nicht das Ziel gewesen sein.
Was anderes ist (West wie Ost) kaputt gegangen. Matthias Deutschmann habt mal gesagt, dass die Menschen, als sie die Berliner Mauer einbrachen, nicht daran gedacht hätten, dass sie ein tragende Wand gewesen sein könnte. Die Mauer in den Köpfen bleibt halt bei vielen: "Früher mussten wie 'denen' immer Kaffee mit bringen, heute zahlen wir den Soli, was hat sich geändert?" oder "Mit Blick auf Elsaß und Lothringen rufe ich euch zu: tausche fünf neue gegen zwei alte Bundesländer", "Ihr habt mir meine heile Welt kapuut gemacht", "Wer soll das bezahlen?"
So ist das anscheinend für viele: das Geld zählt, das Geld bestimmt. Womit wir beim Thema wären.
Hat das Internet vielleicht mehr als man glaubt dazu beigetragen, dass sich unter den Menschen in den alten und neuen Bundeslaendern mehr Normalitaet eingestellt hat?
Nein, denn das Internet bewirkt nichts, es hat nichts ver- oder geändert. Das ist auch nicht seine Aufgaben. Denn es ist doch nur Mittel zum Zweck.
Die Netze könn(t)en dabei so viel: sie könn(t)en Kommunikation erleichtern, sie könnten den Austausch und den Transfer von Wissen ermöglichen, sie könnten für grenzenlosen, freien Austausch genutzt werden. Aber nein, die Netze fallen den Mammom zum Opfer. Sie spiegeln halt doch nur das menschlichen Wesen wider. Mit den Netzen ist es wie mit dem Sozialismus: Weder Ochs noch Esel sondern der Mensch (und seine Unzulänglichkeit) halten sie auf.
Was die Menschen nicht schaffen, das können die Netze nicht kitten.
Zum Beispiel die, ob die Mentalitaetsunterschiede zwischen Ex-Wessis und Ex-Ossis ueberhaupt noch unser Problem sind, oder ob die Aufgabe nicht vielmehr in der Integration von Auslaendern, vor allem solcher anderer Kulturkreise, bestehen muss.
Das ist kein "oder" mehr, da gibt es keine Mentalitätsunterschiede: Im Osten werden Schwarze verprügelt, im Westen Synagogen angesteckt, im Norden ... im Süden ...
Und damit zusammenhaengend vielleicht auch die Frage, wie viel das Internet eigentlich _dazu_ beigetragen hat bislang. Meine Befuerchtung: leider viel weniger, wegen der sprachlichen Huerden, die in einem sprachorientierten Medium natuerlich besonders schmerzlich sind.
Verschließen wir doch nicht die Augen vor der Realität: Zugang zu den Netzen haben die "Reichen". Die, die sich ein Telefonanschluss leisten können. Wenigstens dreiviertel der Welt sind außen vor. Und selbst wenn: HTML ist eine geschriebene Sprache. Und wer kann schon schreiben auf dieser Welt? Ich fürchte, die wenigsten. Das Internet trennt.
Und so gesehen, antworte ich auch deine Frage:
wie viel [hat] das Internet eigentlich _dazu_ beigetragen
Hoffentlich nicht viel
kulturpessimistische Grüße
Swen