Sup!
Liebe Freunde, sehr verehrte Damen und Herren an den Terminals; zwar hat bereits ein gewisser CurtB ein paar Postings weiter unten seinem Unmut über die Zensurmassnahmen der Bezirksregierung Düsseldorf Luft gemacht, jedoch ergreife ich trotzdem die Gelegenheit, an dieser Stelle selbiges zu tun. Präventiv erkläre ich hiermit, fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unserer Republik zu stehen und weise jeden Anflug von rechtsradikalismus weit von mir. Ich habe Zeugen, daß ich lange Haare habe. Meine Freundin war mal Punk. Ich bin Mitglied einer demokratischen Partei. Ich habe schon mal die FDP gewählt. Ich bin nicht vorbestraft. Ich hoffe, das reicht jetzt, um die Leserschaft vom allzu voreiligem Benutzen der immer wieder gern eingesetzten Faschismuskeule abzuhalten, denn CurtB wurde IMHO schon unterstellt, primär gegen die Sperrung von Nazi-Seiten einzutreten, was IMHO gar nicht der Fall war.
Wie auch immer:
Die Bezirksregierung hat nordrheinwestfälische Internetprovider "gebeten", bestimmte Seiten zu sperren; hauptsächlich Nazi-Seiten, aber auch rotten.com (ziemlich ekelige Seite, zugegeben), wie folgender heise-Artikel belegt: http://www.heise.de/newsticker/data/hod-15.10.01-000/
Warum rotten.com gesperrt werden soll, verstehe ich nicht; als erwachsener, angeblich mündiger Bürger sollte man sich ansehen können, was man will. Darum empfinde ich diese Massnahme der Bezirksregierung als Zensur.
Des weiteren bezweifle ich die Wirksamkeit der Massnahmen aus folgenden Gründen:
- Mittels Anonymizer-Services kann man sich diese Seiten sicher trotzdem angucken (denn sie werden aus den USA geladen, anonymisiert, und dann per SSL an den Browser in Deutschland übertragen). Natürlich könnte die BezReg auch einfach noch alle Anonymizer dieser Welt sperren lassen.
- Die gesperrten Seiten könnte man sehr leicht auf irgendwelche Server laden, die freien Webspace anbieten. Die BezReg müsste dann auch noch angelfire, geocities, fortunecity, yahoo und noch ein paar Anbieter sperren
- Seiten, die auf Servern liegen, die dynamische IPs haben, wären ziemlich schwer per Routing zu sperren, es sei denn, die BezReg sperrt auch noch alle dynamischen IP-Services (dyndns, dnsalias...) und am besten alle IPs von Dial-In-Providern auf der Welt
- Wer will, könnte immer noch ein VPN mit einem Server in Amerika aufbauen; gerade die Leute, die getroffen werden sollen, nämlich die Nazis, haben in den USA genug Unterstützer, die ihnen dabei sicher gerne helfen.
Fazit: Die Massnahmen laufen ins Leere, die Regierung macht sich lächerlich. Die Nazis schotten sich ab und gehen in den Untergrund, wodurch sie schwieriger zu kontrollieren sind. Die demokratisch denkenden Menschen unseres Landes fühlen sich bevormundet. Sogar Leute aus der SPD selbst finden ja, daß die BezReg Düsseldorf Aktionismus betreibt: http://www.heise.de/newsticker/data/anw-22.11.01-008/
Bedenklich finde ich auch, daß die Unis in NRW bereits in großem Umfang Webseiten sperren sollen. Wie sollen denn da Historiker, Publizisten und Psychologen Studien über das Treiben der Nazis im Internet anfertigen, wenn sie das Internet nur geschönt sehen? Ist es nicht bedenklich, dass durch diese Filter die Vorstellung der Menschen von der Welt manipuliert wird, so dass im Kopf des gefiltert surfenden der Eindruck entsteht, es gäbe gar keine Probleme mit Rechtsextremisten? Sind denn die Menschen wirklich so leicht zu manipulieren?
Hat man nicht zumindest als Forscher ein Recht darauf, auch auf "verbotene" Inhalte zuzugreifen, wenn diese Gegenstand von Untersuchungen sind?
Ich fordere deshalb:
Die Bezirksregierung von Düsseldorf sollte aufhören, das Bundesland NRW lächerlich zu machen und statt dessen seine Energien in die Bildung der Bevölkerung investieren, um sie in die Lage zu versetzen, im Internet zu surfen, ohne durch Konfrontation mit Nazi- oder Splatter-Seiten seelisch oder weltanschaulich Schaden zu nehmen und als freie, selbstverantwortliche Bürger im Internet einen Blick auf die ungeschönte, unschöne Realitaet zu werfen.
Es reicht doch, daß die Bilder im Fernsehen von zig Stellen manipuliert sind - von den Nachrichtenagenturen, von den Journalisten, von der Bildregie - muß denn jetzt auch das Internet so getrimmt werden, daß es der Weltsicht von irgendwem entspricht? Einem gut gemeinten Traum von einer Welt ohne Nazis, ohne zum Drogenschmuggel mit Drogen ausgestopften Babies (rotten.com) - am besten frei von Hackern, voll von kopiergeschütztem digitalen Content, der von irgendwelchen e-commerce Firmen für harte Euros verkauft wird?
Kann es nicht ein wenig Anarchie geben? Muß uns denn der Staat unbedingt vor allem beschützen wollen? Muss denn diese gutgemeinte Absicht, dieses credo, den Extremismus, vor allem den von der rechten Seite, zu bekämpfen, wirklich um jeden Preis durchgezogen werden, auch mit so untauglichen Mitteln, um guten Willen zu zeigen? Könnte man nicht möglicherweise auch mal daran denken, daß sich der Anteil von Extremisten an der Bevölkerung einfach nie beliebig verringern lassen können wird *1 (Fussnote), und daß die Masse der Bevölkerung doch durchaus in der politischen Mitte anzusiedeln ist, und daß darum eigentlich gar kein Bedarf für solche verzweifelten Massnahmen besteht, die nur eine marginale Wirkung haben können? *2 (Fussnote) Rechtfertigt denn die Behauptung, man tue etwas, um damit den Rechtsextremismus zu bekämpfen, einfach jedes Mittel? So wie "die Bekämpfung des Terrorismus" anscheinend alle möglichen Einschränkungen des Datenschutzes rechtfertigen soll? Und vor allem: Was ist verbotenes auf rotten.com? Welcher arme Mitarbeiter der Bezirksregierung hat sich denn voller Ekel alle Seiten von rotten.com angesehen, bis er irgendwas verbotenes gefunden hat, und nachher angewidert empfohlen, diese Seite zu sperren? Jeder normale Memsch hat nach 3 Seiten rotten.com genug und surft woanders hin.
Ich kann mir gut vorstellen, daß einige Leute jetzt meine Argumentation so lange zerpflücken und interpretieren, bis es ihnen möglich ist, mir irgendwas zu unterstellen - diese Leute tun mir leid, denn sie verstehen nicht, was ich sagen will, weil sie es nicht vestehen wollen bzw. einfach zu blöd sind. Nochmal zum mitschreiben: Ich bin kein Nazi. Ich bin aber gegen die Zensur des Internets. Jeder sollte das Recht haben, das Internet, mit allen seinen Schattenseiten, so zu sehen, wie es ist.
Gruesse,
Bio
*1) Mit einiger Wahrscheinlichkeit entspricht auch die Verteilung der Bürger auf politische Lager mehr oder weniger der gausschen Normalverteilung; auf jeden Fall aber ist der Anteil von Extremisten an der Bevölkerung so gering, daß die möglichen minimalen positiven Effekte, die die Filterung von Internetinhalten mit geringer Wahrscheinlichkeit auf diesen sehr kleinen Teil der Bevölkerung haben könnte, die Einschränkung der Freiheit des großen, demokratisch denkenden Teils der Bevölkerung nicht rechtfertigen können.
*2) Die Wirkung der Filterung kann nur Leute in positivem Sinne betreffen, die a) anfällig sind für extremistisches Gedankengut, b) eine der Seiten ansteuern wollten, die gesperrt sind und c) daraufhin nicht anfangen ähnliche Seiten zu suchen, bis sie eine nicht-gesperrte gefunden haben, sondern aufhören und lieber ein gutes Buch lesen