Hi Antje,
Da wird sonstwer zur Begründung herangezogen aber niemals die Betroffenden selbst, die schwangerschaft unterbrechenden Frauen.
Ich glaube schon, dass sich viele Frauen bewusst und wirksam zu dem Thema geäußert haben. Ich habe den alten Singer-Text auch schonmal mit Studenten diskutiert, einfach weil er die radikalste Position zur Abtreibung vertritt, und so den üblichen Denkrahmen sprengt, nicht weil ich die Argumentation überzeugend fand.
Für die Vielzahl der betroffenden Frauen ist die Beantwortung einiger einfachen aber grausamen Fragen ausschlaggebend:
Kann ich meinem Kinde den Lebensstandard, die Ausbildung und die Chancen die ich habe oder die meinen anderen Kinder haben geben?
Wird die Geburt eines Kindes mich und meine anderen Kinder in die Armut treiben? Werde ich von Sozialhilfe abhängig sein oder werde ich diskriminiert?
Behalte ich langfristig den Arbeitsplatz?
Kann ich die nächsten 20 Jahre angemessen für das Kind sorgen?
Steht der Vater zum Kind oder stehe ich alleine da?
Genau das sind die Fragen, die die meisten Frauen bewegen.
Du hast Recht, das sind wichtige Fragen. Fragen, die gestellt werden sollten.
Aber trotzdem stimmt die These: "soziale Not erzeugt Kinderlosigkeit" häufig nicht. Es sind eher die sozial Bessergestellten, die ohne Kinder durchs Leben reisen, in Deutschland und international, und da stellen sich andere Fragen.
Ich habe selbst mal ganz außerhalb der Statusfragen vor so einer Situation gestanden im Zusammenhang mit der modernen Medizin: Bei einer Fruchtwasseruntersuchung stellte der Arzt uns die Frage, ob wir das Kind wirklich abtreiben lassen wollten, wenn Mongolismus oder dergleichen festgestellt würde, sonst wäre die Untersuchung und ihre Risiken schließlich sinnlos. Ich habe das als ziemliche Schocksituation erlebt.
Inzwischen werden solche Untersuchungen zu tausenden gemacht, und Du siehst dabei auf einem extrem genauen Ultraschallapparat das kleine Lebewesen und es stellen sich viele Fragen plötzlich sehr viel konkreter.
Ich würde Dir insofern Recht geben, als die betroffenen Frauen und Ärzte entscheiden sollten, was sie machen wollen und was nicht, aber die abstrakte Diskussion finde ich doch sinnvoll, wann der Respekt vor dem Leben einsetzen muss. Irgendwie scheinen mir die Experimente mit embryonalen Stammzellen gerechtfertigt zu sein, wenn man damit wirklich etwas medizinisch Sinnvolles erreichen kann, was ich nicht beurteilen kann, aber wo genau ist die Grenze? Mir scheinen alle Beschlüsse, die den Wert des menschlichen Lebens graduell herabsetzen, äußerst schwierig und folgenreich zu sein, und ich glaube, in der heutigen Diskussion geht es weniger um das Abtreibungsproblem, das für die meisten Frauen irgendwie lösbar ist, wenn auch mit harten psychischen Belastungen, als darum, was man medizinisch machen kann oder nicht. Es ist so eine Art individuelles Euthanasie-Programm, wenn man ganz individuell plötzlich vor der Aufgabe steht zu beurteilen, welches Leben man für lebenswert hält und welches nicht.
Manchmal denke ich, dass die medizinische Totalüberwachung von Schwangerschaft und Geburt trotz aller Erfolge etwas sehr Zerstörerisches hat, das Leben zu einem technischen Vorgang macht, menschliches Leben in Qualitätsstufen kategorisiert.
Bringe in eurem Unterricht ruhig mal die Frage ein, ob sich die Anzahl der Abtreibungen nicht reduzieren würde, wenn die Gesellschaft kinderfreundlich wäre?
Stimmt genau, und sie ist nicht kinderfreundlich. Und obwohl ich Dir Recht gebe, dass die betroffenen Frauen oder Paare die Entscheidung treffen sollten, so bin ich doch für eine Ethik, die den Wert menschlichen Lebens hoch ansetzt.
Viele Grüße
Mathias Bigge