Hi O'Brien,
"Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass die schlechten PISA-Ergebnisse _nur_ dadurch zustande gekommen sind, dass es nur noch dumme Schüler gibt. Dabei beschreibt "dumm" eine Eigenschaft (wie z.B. Haarfarbe), die nicht durch bessere Ausbildung zu beheben ist."
Ja, die Dummheit... Genetisch sollte die Intelligenzverteilung quer durch alle Schichten streuen, faktisch gelingt es fast nur Kindern aus bestimmten Gruppen der Bevölkerung, ihre Intelligenz in schulischen Erfolg umzumünzen. Immer noch ist der Anteil von Kindern aus sozial schwachen Familien oder aus Familien mit Migrationsanteilen an den Abiturienten signifikant gering, besonders an den leistungsstarken Gymnasien gibt es nur wenige Arbeiter- oder Ausländerkinder.
Es scheint also etwas mit Lernprozessen, Lebenssituationen, Einstellungen zu tun zu haben. Die sozialen Unterschiede kann die Schule dennoch nur zu einem geringen Teil ausgleichen, die Chancengelichheit erweist sich als Illusion. Ist dieses Problem aber lösbar? Kann man durch Verbesserung des Bildungssystems die Situation der Kinder aus bildungsfernen oder bildungsfeindlichen Schichten und Gruppen ändern? Es käme auf einen Versuch an. Dazu wären allerdings andere finanzielle Anstrengungen erforderlich als die jetzt gemachten. Als Insider kann ich Dir sagen, das die Wahlkampfreden und Programme der realen Situation nicht entsprechen.
die Chancen auf eine gut funktionierende und zukunftsfähige Gesellschaft
Es scheint so, dass eine gehobene Bildung, die zu qualifizierten Tätigkeiten befähigte, in weiten Kreisen der Bevölkerung nur gegen massiven Widerstand durchzusetzen wäre. Wir werden, so sieht es zumindest aus, immer größere Gruppen von Menschen in unserer Gesellschaft haben, die nur einfache Tätigkeiten ausüben wollen oder können. Da diese Tätigkeiten in diesem Umfang nicht nachgefragt werden, dürfte es naheliegen, diese auch nur schlecht zu bezahlen. Die Zweidrittelgesellschaft liegt insofern im Trend.
Ich persönlich bin damit äußerst unzufrieden, andererseits aber auch realistisch. Wenn ein Jugendlicher aus einer ausländischen Familie nach 10 Jahren deutscher Schule immer noch über geringe Deutschkenntnisse verfügt, wird dieses Problem kaum über weitere Bildungsmaßnahemn zu lösen sein. Es gibt zahlreiche Versuche in dieser Richtung, die nicht den rechten Erfolg gebracht haben. Welche Perspektive kann man diesem Menschen nun anbieten? Wahrscheinlich doch nur eine einfache, schlecht bezahlte Tätigkeit.
Ich glaube, dass viele Menschen einfach keine Verantwortung übernehmen bzw. sich ihrer Verantwortung nicht bewusst sind.
Nicht einmal der Verantwortung für sich selbst. Ich habe mal in Gesellschaftslehre einen Test schreiben lassen, der unter anderem die Frage enthielt, welche Gründe die Schüler sähen, dass immer weniger Menschen in traditionellen Familien leben. Daraufhin schrieben mehrere Schüler unabhängig voneinander, dass es durch die Sozialhilfe heute möglich sei allein zu leben, wo man früher auf die Familie angewiesen gewesen sei....
"Wie kann man von einem Kind verlangen, dass es gerne liest und schreibt, wenn zuhause alles, was gelesen wird, die Fernsehzeitung und alles, was geschrieben wird, der Einkaufszettel ist?"
Manchmal schmunzelt man als Lehrer, wenn man elterliche Entschuldigungsschreiben liest....
Inzwischen dürfte das eine Minderheit von grob geschätzt 30% sein.
_Das_ finde ich traurig und _sehr_ bedenklich.
Ist es auch. In dem hohen Anteil von Kindern an Migrantenfamilien ist es allerdings nur natürlich.
Es gibt aber ein seltsames Geheimnis der Bildung, das viele nicht verstehen: Das größte Privileg der Eliten ist es, während ihrer Schulzeit völlig praxisirrelevante Dinge lernen zu dürfen.
Was ist denn daran praxisirrelevant? *g*
Ich denke, Du verstehst, was ich meine, natürlich, eine fundamentale Auseinandersetzung mit Sprache ist viel relevanter für die Lebenspraxis als platt berufsrelevante Dinge, die zudem einem äußerst schnellen Alterungsprozess unterliegen.
"Meiner bescheidenen Erfahrung nach lernt man am besten bei konkreten Projekten."
Die Frage ist demnach nur noch, wie diese Projekte auszusehen haben. Das wird nicht einfach sein, aber es lohnt sich nicht nur, sondern ist mMn sogar notwendig.
Richtig, eine solche Art von Problem- und Handlungsorientierung ist sinnvoll und wichtig!
Eine Frage habe ich an dich als Lehrer noch: Haben die Jugendlichen heutzutage tatsächlich ein derart rudimentäres Sprachvermögen, wie sie es in ihren Dialogen in der Öffentlichkeit (im Bus etc.) offenbaren? _Das_ wäre in der Tat haarsträubend.
Natürlich ist Jugendsprache immer ein Instrument zur Identitätsstiftung und zur Abgrenzung zur Welt der Erwachsenen. Mir scheint aber momentan der Anteil stereotyper Elemente besonders hoch zu sein. Allein das befähigt aber nicht zu einer klaren Aussage.
Meine schulische Erfahrung:
- Es gibt einen konkreten Mangel an sprachlicher Integration bei Kindern aus Migrantenfamilien.
- Es gibt Lese- und Schreibprobleme auch bei Schülern aus deutschen Familien aufgrund fehlender Lese- und Schreibpraxis.
- Es gibt im Bereich der Sekundarstufe 1 ganze Schulen, an denen an viele Schüler offensichtlich nur noch rudimentäre sprachliche Kenntnisse vermittelt werden können.
Viele Grüße
Mathias Bigge