Hallo O'Brien,
Um es aber mal auf die Spitze zu treiben: Brauche ich in einem Einstellungsgespräch Prozentrechnung? Bringt mir bei der Mitbestimmung im Betrieb das geographische Grundwissen etwas?
in meiner Antwort an Mathias hatte ich schon gesagt, dass ich die Frage etwas anders gemeint hatte und nicht den Nutzen des Wissens selbst in Frage stellte. Aber deine Frage ist sehr gut und zeigt ein sehr prinzipielles Problem auf. Da fast nie klar ist, welches Wissen in einer konkreten Situation erforderlich ist, propagiert die Pädagogik das Lernen auf Vorrat.
Wie Vera F. Birkenbihl so schön sagt
richtig Birkenbihl geschult, oder nur gelesen?
(sinngemäß zitiert): "Wie kann man von einem Kind verlangen, dass es gerne liest und schreibt, wenn zuhause alles, was gelesen wird, die Fernsehzeitung und alles, was geschrieben wird, der Einkaufszettel ist?"
Könnte ja auch lehrreich sein ;-)
Mutter: "Kind, wie schreibt man Spageddi?"
Kind: "Keine Ahnung, ist doch scheissegal ..."
Mutter: "Was lernst du denn in der Schule? Hat euch der Lehrer das noch nicht gesagt?"
Kind: "Doch, schreibt sich jetzt ohne H, weiss aber nicht mehr ob vorn oder hinten."
Mutter: "Dann kaufen wir halt Nudeln!"
Der perfekte Deutschunterricht befähigt die Schüler zu einem kritischen und bewussten Umgang mit der eigenen Sprache und zu einer vielfältigen Ausdrucksweise. Die Verkaufsgespräche sind mit _diesen_ Kenntnissen und vor allem Fertigkeiten ein Klacks.
Ich habe gut 30 Jahre Erfahrung mit dem Optimieren von Verkaufsgesprächen. Ich kann dir versichern, dass dabei der bewusste Umgang mit der Sprache den Deutschunterricht bei weitem übersteigt. Die Ausdrucksweise ist allerdings weniger an Goethe oder Schiller orientiert, dafür mehr an der normalen Alltagssprache. Übrigens - weil du das oben erwähnt hast - bei mir auch nicht an Birkenbihl. Ein Verkaufsgespräch ist kein Mittel jemand zu irgendetwas zu überreden.
Eine Frage habe ich an dich als Lehrer noch: Haben die Jugendlichen heutzutage tatsächlich ein derart rudimentäres Sprachvermögen, wie sie es in ihren Dialogen in der Öffentlichkeit (im Bus etc.) offenbaren? _Das_ wäre in der Tat haarsträubend.
In der Schweiz gibt es dazu eine sehr umfangreiche Langzeitstudie, die beim Eintritt ins Militär mit den Rekruten gemacht wird. Seit 50 Jahren gibt es keine nennenswerte Veränderung der sprachlichen Fähigkeiten. Die Umgangssprache in der Öffentlichkeit hat sich aber sicher gewaltig geändert, was aber nicht unbedingt negativ sein muss, manchmal vielleicht etwas nervend (für die Älteren).
Beste Grüsse
Richard