Hi Andreas,
das kann man natürlich so verstehen. Ich bin selbst betroffen und befürchte auch, daß ich demnächst zum modernen Sklaven gemacht werden soll.
Ich habe auch schon überlegt, was ich tun könnte, wenn ich in eine solche Situation geriete und von den Dortmunder Diensten durch die Rabatten geschickt würde, um Abfälle und Hundescheiße einzusammeln. Es steckt eine tiefe Ungerechtigkeit im gesamten Hartz IV Konstrukt. Und es gibt eine Kette von Demütigungen, die man da durchlaufen muss.
Dennoch gibt es kaum öffentlichen Widerstand gegen das Vorhaben, das jetzt Realität ist. Woran liegt das? Resignation könnte ein Grund sein, mangelndes Selbstbewusstsein ein anderer.
Es gibt aber auch einen Aspekt, der vielen die "Reformen" als glaubwürdig erscheinen lässt, das ist die Meinung, dass es zahlreiche Menschen gibt, die ihr ganzes Leben auf das Ausnutzen des sozialen Systems hin ausrichten.
Es ist der Glaube, dass die wirtschaftlichen Ressourcen nicht ausreichen, um derart viele Nischenexistenzen zu finanzieren. Ob das richtig ist, sei dahingestellt, die Mentalität kann ich in meinem Umfeld tatsächlich immer weider beobachten, sei es beim Akademiker, der einfach keine seiner Qualifikation entsprechende Stelle finden konnte und sich deshalb auf relativ hohem Niveau sein Leben seit 1980 durch teilweise gut ausgestattete ABMs finanziert, sei es beim Schulversager, der keine Stelle in Aussicht hat, die ihm wesentlich mehr einbringt als Sozialhilfe mit ein bisschen Schwarzarbeit.
Ich habe neulich einen Test schreiben lassen zur Veränderung der Familienstruktur in Deutschland. Dabei galt es unter anderem Gründe für die statistische Veränderung anzugeben. Mehrere Schüler haben unabhängig voneinander angegeben, dass es durch die Sozialhilfe für junge Leute leichter möglich sei, allein zu leben als früher, wo man auf die Familie angewiesen gewesen sei. Das finde ich als Haltung fatal, nicht nur für die Sozialsysteme, sondern vor allem für das Leben dessen, der so denkt. Da fehlt einfach der elementare Glaube daran, dass man etwas leistne und aufbauen kann, einen interessanten Beruf etwa, eine inhaltliche Lebensperspektive.
Das liegt natürlich nicht nur im Individuum begründet, sondern in den objektiven Gegebenheiten: Immer mehr Menschen stecken in Jobs, in denen sie stetiger Entwertung ausgesetzt sind, die schlecht bezahlt, unsicher und ohne Karriereperspektive sind. Es gibt einfach nur noch wenig Platz für Menschen, die durchaus etwas auf die Beine stellen könnten, wenn man sie entsprechend fördern würde und viel zu stark das Gefühl, das man überflüssiger Ballast für Unternehmen und Gesellschaft sei.
Die Frage ist für mich, wie man eine Gesellschaft entwickeln könnte, in der der einzelne Mensch der Maßstab für politisches und wirtschaftliches Handeln wäre, nicht lästiger Störfaktor für die selbstreferentiellen ökonomischen Systeme oder als "Gewinner" sauber drehendes Rädchen im Getriebe. Alle Bemühungen der Pädagogik bleiben Maskenbildnerei, wenn de facto ein großer Teil unserer Kinder im Grunde schon in der Schule als Loser deklassiert ist.
Viele Grüße
Mathias Bigge