Hallo Gernot,
immer wieder höre ich den Begriff "Semantik". Was ist dies genau? Kann mir das bitte jemand erklären? Ich habe schon bei Wikipedia nachgeschaut, aber ich verstehe den Begriff einfach nicht im Zusammenhang mit HTML/CSS. Klärt mich bitte auf! ;)
Ich auch nicht, und ich bin Sprachwissenschaftler, also tröste dich!
Was die, die da von "Semantik" schwafeln meinen, ist eigentlich "Struktur", also im Gegenteil eher Syntax!
der primäre Anspruch der Schrachwissenschaftler auf den Begriff Semantik sei gar nicht bestritten, im Hinblick auf HTML wird dieser Begriff aber nicht in linguistischem Sinne verwendet, sondern im Sinne der _logischen_ Semantik (Bolzano, Frege, Carnap u.a.) und weitgehend unabhängig von der semiotischen Dreieinigkeit Syntaktik/Semantik/Pragmatik.
Eingang gefunden hat der Begriff über die theoretische Informatik aus der extensionalen Interpretation formalisierter Sprachen. Formalisieren führt zum Kalkül mit einer festen Zuordnung von Eingabewerten und Ergebnissen. Frank Schönmann hat das sehr verständlich beschrieben: https://forum.selfhtml.org/?t=112405&m=710624.
In der IT-Welt stellen die Bedeutungen der Ausdrücke formalisierter Sprachen Anweisungen an den Rechner dar. In diesem Zusammenhang von semantisch zu sprechen ist problematisch, worauf (aus etwas anderem Grund) auch Gunnar Bittersmann hinweist: https://forum.selfhtml.org/?t=112405&m=710692. Als Anweisung an den Rechner sind alle formal korrekten Ausdrücke einer formalisierten Sprache semantisch, die Aussage ist damit wert- und sinnlos. Es geht eher um so etwas wie "Semantizität". Wenn es mehrere Kalküle mit gleichem Ergebnis, aber verschiedenen Eingabewerten gibt, ist demjenigen Kalkül der Vorzug zu geben, welches die einfachste Anweisung an den Rechner gibt, also am "semantischsten" ist. Konkret gesagt, den einfachsten HTML oder sonstigen Code benutzt. So etwas dürfte mit semantischem Mark-up gemeint sein. Ich lasse mich da aber gern belehren.
Ich sehe allerdings ein prinzipielles Problem der Informatik, besonders der theoretischen. Was der einfachste, oder genauer der bestmögliche Code ist, kann so ohne weiteres gar nicht entschieden werden. Hier lauert die Gefahr, gegen das Humesche Gesetz zu verstossen und einen naturalistischen Fehlschluss zu begehen. Aus einem IST-Zustand darf ohne zusätzliche wertende Prämissen nicht auf einen SOLL-Zustand geschlossen werden. In der Informatik wird wie selbstverständlich derjenige Code als der beste bezeichnet, der am wenigsten Rechenaufwand verursacht. Moralisch gewertet heisst das, die Informatiker wollen den Elektronen im Siliziumkristall möglichst wenig Bewegung zumuten, selbst wenn dies erhebliche Mehrarbeit für die Menschen zur Folge hat, etwa indem sie sich mit semantischem Mark-up befassen müssen.
Beste Grüsse
Richard