Hi Richard,
Der konkrete Bezugspunkt ist eine von verschiedenen Autoren vertretene These, dass Schüler und Prüfungskandidaten unter Druck gesetzt werden, als triviale Maschinen zu funktionieren, etwa beim Ausfüllen von multiple choice tests oder bestimmten Fragestellungen im Unterricht.
Das Thema ist so umfassend und für mich interessant, dass ich es gern in anderem Rahmen mit dir diskutieren möchte.
Vielleicht müssen wir irgendwann mit der Diskussion in die Lounge umziehen, ich wollte aber die Meinung der Informatiker hören, die ich eher hier ansprechen kann.
»»Ich finde, das Problem entsteht viel früher, nicht erst bei den Fragen. Schon wenn Lerninhalte geplant und festgelegt werden, müsste auch die Art der Erfolgsmessung bestimmt werden. Ausserdem schafft die Terminologie einige Verwirrung. Würde nämlich die readikal kunstruktivistische Denkweise konsequent angewandt, könnte jeder den Sinn der Fragen selbst "konstruieren" und auch entsprechend beantworten.
Wie meinst Du das? Ich verstehe hier nicht, in welchem Sinne Du den Begriff "Konstruktivismus" verwendest.
Hinzu kommt, dass viele Antworten nach dem Blackbox-Modell tatsächlich nach der Art der trivialen Maschine korrekt sind. Antworten auf Fragen: "Wieviel sind 3% von 120 Euro?", "Wie heisst der Bundespräsident?" haben nun mal eine eindeutige Zuordnung von Input und Output. Ganz generell bezweifle ich allerdings, ob ein Mensch überhaupt nach dem Muster der trivialen Maschine "funktionieren" kann, insofern traue ich den Pädagogen auch gar nicht zu, aus Schülern triviale Maschinen machen zu können.
Das unterstellt die Systemtheorie auch nicht. Die Schüler bleiben biologisch Menschen, systemtheoretisch Bewusstseinssysteme und somit Systemumwelt und für das System Personen, also definierte Elemente eines Systems, hier des Schulsystems. In der Unterrichtsinteraktion findet immer mehr statt als das triviale Frage-Antwort oder Aufgabe-Lösungsspiel und tatsächlich gibt es schon auf dieser Ebene Komplikationen. Unterricht bleibt Interaktion, produziert über den Unterricht hinaus Informationsüberschüsse. Der Lehrer weiß/vermutet über jeden Schüler mehr als jemals im Unterricht zur Sprache kommt, die Schüler sehen/wissen mehr vom Lehrer als kommuniziert wird.
Die Frage, wie Menschen darauf reagieren, wenn sie in der Schule oder am Arbeitsplatz dauerhaft und immer wieder trivialisiert werden, schließt solche Überschüsse und den Umgang damit ein. Um es simpel und modellhaft zu sagen: Der Schüler, der trivial antwortet, löscht damit nicht die internen Selbstbeschreibungen, er übergeht sie aufgrund des Lernprozesses, was von ihm verlangt wird und welche Gratifikationen es dafür gibt.
- Die Antworten sind dem Fragendem bekannt.
Ich habe irgendwie Mühe mit der Vorstellung, dass der Lehrer selbst die richtigen Antworten nicht kennt ;-)
Wenn man eine Frage stellt, gibt es meist eine Perspektive auf eine mögliche Antwort, aber durchaus auch Überraschungen. Die Kritik, die man aus den zitierten Beschreibungen entwickeln könnte, waäre, dass Schule und Betrieb die Schüler bzw. Mitarbeiter in einem Maße trivialisieren, die zu Formen paradoxer Kommunikation und überschüssigen Nebenkulturen führen. Die Systemtheorie legt den Finger in diese Wunde, aber nicht aus der Perspektive des Kritikers, der bestehende Zustände ändern will, sondern aus der Perspektive des Beobachters, der Mechanismen nachgeht.
Vorschlag: von _Aufgaben_, statt von _Fragen_ sprechen und Luhmanns Einwand ist entkräftet.
Nein. Auch Aufgabe/Lösungsschemata sind trivial.
Luhmann argumentiert weltfremd und praxisfern, die Situation der Schule ist doch nicht generell mit dem sozialen Alltag gleichzusetzen. Er ignoriert zudem die lange Tradition der Pädagogik, die auf Platon und der Sokratischen Methode basiert.
Es gibt lange Absätze zur gesellschaftlichen Entwicklung der Pädagogik, auch zu den griechischen Konzepten, ich habe das hier nur nicht referiert.
Wenn im Berufs- und sonstigen Leben von Menschen verlangt wird, wie triviale Maschinen zu funktionieren, wird dies ja nicht durch die Schule verursacht. Im Gegenteil könnte gefordert werden, die Schule solle darauf vorbereiten.
Luhmann würde genau dies als "heimlichen Lehrplan" bezeichnen.
Ich bin skeptisch, ob sich die gesellschaftliche Wirklichkeit einfach durch ein anderes Vorgehen in der Schule ändern lässt.
Wie sich Gesellschaft verändert, ist ein anderes Thema. Aus der Sicht der Systemtheorie ist aber sicher, dass Veränderungen in Subsystemen wie etwa dem Schulsystem unmittelbar auf andere gesellschaftliche Systeme wirken, indem deren Umwelt komplexer wird. Dabei lassen sich die Beziehungen zwischen System aber nicht auf einfache Ursache-Wirkungsschemata reduzieren, weil jedes komplexe System gezwungen ist, auf Änderungen in der Umwelt durch eigene Strukturbildung oder Systemmechanismen zu reagieren.
Du hast das Argument an dieser Stelle falsch verstanden und "trivial" mit "primitiv" übersetzt, was nicht gemeint ist.
Viel schlimmer ... ;-) ... ich weigere mich seit über dreissig Jahren beharrlich, das richtig zu verstehen.
*g*
Worin liegt den der Nutzen der Aussage, nach dem gesunden Menschenverstand sei etwas nicht trivial, nach Auffassung der Kybernetik hingegen schon? Eine derart verstandene Kybernetik würde dann leider nichts taugen zur Lösung von Alltagsproblemen.
Jede Theorie entwickelt ihre Begrifflichkeit, übernimmt dabei - geschickt oder ungeschickt - Begriffe aus der Alltagssprache. Es gibt aus meiner Sicht ärgerlichere Beispiele als die sauber definierte Definition des Wörtchens "trivial", das auch in anderen Wissenschaftsbereichen für einiges herhalten muss, etwa in der Literaturwissenschaft. Wenn Wörter reden könnten *g*
Noch ein persönlicher Hinweis: ThomasJ.S. hat dir einen Link auf die site der GPI mit dem Artikel von Bert Klauninger genannt. Ich bin Gründungsmitglied der GPI.
Jetzt habe ich noch mehr Hausaufgaben... Schreib doch mal ein paar Zeilen über die GPI und was Du dort machst. Es ist oft hilfreicher, wenn ein Insider ein paar Sätze formuliert, als wenn man sich aus dem Netz was zusammeninterpoliert....
Viele Grüße
Mathias Bigge