Mathias Bigge: Stilblüten der Schlechtschreibreform Teil XLII

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Hi Swen,

insgesamt wünsche ich mir mehr Lockerheit in der Diskussion.

Es geht hier um eine sehr grundsätzliche Frage, nämlich ob Sprachregeln in die Hände der Bildungspolitik gegeben werden sollten, oder ob man in Deutschland wie früher moderat der Sprachpraxis folgen sollte. Angesichts der geplanten Weiterentwicklung der Kleinstaaterei im Bildungsbereich haben wir jetzt endlich geschafft, dass in verschiedenen Bundesländern verschiedene Rechtschreiberegeln gelten. Ein toller Erfolg. Zum Beispiel gibt es schon heute einen herrlichen Rechtschreibesalat in unseren wertguten Schulbüchern, die in vielfacher Klassenstärke in den Schulen herumliegen.

Was genau soll das bringen? Warum willst Du Sprachen in einen Wettbewerb stellen?

Ich wollte mich darüber lustig machen.

von den Stillstandbewahrern

Diese Tendenz in Deinen letzten Postings stört mich. Es gab vorher keinen Stillstand, sondern eine moderate Evolution. Außerdem ist Bewegung keine Qualität an sich, es ist eine Tendenz der aktuellen Politdiskurse, so zu tun, als sei jeder Kritiker der "Reformen" ein Befürworter des tötlichen Stillstands.

Bürokratien sind m.E. übrigens ebenso ungeeignet für diese Aufgaben wie manche Deutschlehrer und so ziemlich alle Philologen. Wer die an Regelwerke lässt, der wählt auch Merkel zum Kanzler.

Hört sich flott an, tatsächlich haben die Kultusminister Fachleute eingesetzt und nur Fachleute könnten überhaupt in diesem Bereich sinnvoll Regeln formulieren, weil ein Laie nicht einmal ahnen würde, welche Nebenwirkungen das hätte. Auch ein Deutschlehrer, der die Rechtschreibeprobleme natürlich bestens kennt, dürfte hier überfordert sein. Meine Kritik trifft aber vor allem das Verfahren überhaupt.

Und mit ein bisschen Ernst in der Polemik rate ich mal, dass de facto eh Microsofts Word-Rechtschreibprüfung im wesentlichen bestimmt, was in Deutschland richtig oder falsch ist.

Zumindest ist sie sehr wirkungsmächtig, was die Bürowelt angeht. In der Schule sehe ich den EInfluss eher geringer.

Die Bürokraten haben doch genug Bereiche, in denen sie die Welt auf ihren Bierdeckelverstand reduzieren können.
Na was ein Glück, dass hier keine Ministeriellen mitlesen :-)

Seit wann lesen die?

Tolles Argument. Begründe doch bitte nochmal schnell die Logik die hinter dass mit ß steht.

Meinen Schülern sage ich immer, dass man das Doppel-s setzen muss, wenn man das "dass" nicht durch dies, jenes oder welches ersetzen kann. Um die eigene Sprache wirklich beherrschen zu können und damit auch die Grundlage für das Fremdsprachenlernen zu legen, sollte an dieser Stelle auch der Unterschied zwischen Nebensätzen, Relativsätzen, Artikeln und Demonstrativpronomen eingängig eingeführt werden. Je nach Intelligenz der Lerner dauert das eine bis zwei Doppelstunden, ein Aufwand, der sich m.E. lohnt, wenn dabei eine gewisse Sicherheit in grammatischen Grundkonstrukten herauskommt. Die Fähigkeit, Artikel sicher erkennen zu können, hilft auch beim Komplex der Groß- und Kleinmschreibung, die Kenntnis der Pronomen beim Aufbau korrekter Bezüge in eigenen Texten.

Die Argumentationslinie (nicht Deine) der Neinsager, Ausnahmen scheinbar schon allein deshalb bestehen lassen wollen, damit sich die verbleibenden nicht so einsam fühlen, hat sich mir noch nie erschlossen.

Aber wer argumentiert so?

Nein, der Wegfall des "ß" ist m.E. nur der erste Schritt. Für ein einfaches "s" war die Reformisten einfach nicht mutig genug.

Und hätte sich damit weiter vom hier im Thread mehrfach vertretenen Ideal der phonetischen Schreibung entfernt.

Und wenn Millionen Schüler, Deutschlernende und Schreibende immer und immer wieder einen "Fehler" machen, dann muss man halt irgendwann akzeptieren, dass das kein Fehler mehr sein kann, sondern sprachliche Evolution.

Es ist eine interessante These, dass sich Sprachen stark durch den Einfluss von Schülerfehlern weiterentwickeln.

Dafür wird die Sprache halt in anderen Bereichen komplizierter.

Das ist selten der Fall. So sind etwa alle neuen Verben regelmäßig, bei vielen älteren Verben schleifen sich unregelmäßige Formen ab und werden durch regelmäßige ersetzt. Im Bereich der deutschen Grammatik verlieren Konjunktiv und Genitiv zunehmend an Bedeutung. Ich stelle immer wieder fest, dass mich Schüler skeptisch ansehen, wenn ich ihnen diese Formen vermittele, so als sagte ihnen ihr Sprachgefühl, das sei sicher falsch.
Viele Änderungen haben kommunikativ nur geringe Folgen, aber der Verlust der Konjunktivformen ist aber häufig mit der Unfähigkeit verknüpft, sauber zwischen eigener und fremder Meinung zu unterscheiden, etwa bei Zeugenaussagen oder der Analyse wissenschaftlicher Texte. Insofern stellt der grammatische Verlust hier auch einen Verlust an Ausdrucks- und Denkfähigkeit dar oder steht damit zumindest im Zusammenhang.

So stell ich mir das vor: Das Regelwerk einer Sprache läuft bitte zielstrebig hinter der tatsächlichen Entwicklung hinterher, hemmt nicht und versucht auch nur sehr zaghaft zu lenken. Was richtig und was falsch ist, das ergibt sich aus dem Alltag und wird - retard - ins Regelwerk aufgenommen. Das Regelwerk bildet nach und fasst zusammen. Irgendwann war "daß" sicher irgendwie sinnvoll. Heute nicht mehr.

Bis auf das m.E. ungeeignete Beispiel bist Du damit beim Zustand vor der Reform.

Erklärst Du einem Kind, warum man Mathias nicht Matijas schreibt?
Ja. Weil das bei Eigennamen nun mal so ist.

Die Lautfolge wird immer so geschrieben.

Wo wir gerade bei Fremdwörtern in unserer Sprache sind, fällt mir noch was ein: Im Schweden ist ein Restaurant ein Restaurang, der Philosoph ein Filosof. Das ist ein mutige Sprache, die sich Fremdworte zu eigen macht und - auch in der Schreibweise - verinnerlicht. So etwas wünsche ich mir in Deutschland auch.

Ich halte das für vorschnelle Argumente. Du unterschätzt die Bedeutung des großen übernationalen Bestands an weitgehend einheitlich geschriebenen Fremdwörtern.

Du forderst praktisch eine Art von Lautschrift als Vereinfachung. De facto wäre das zehnmal komplizierter als der gewachsaene Ist-Zustand.
Da sollte man halt die allgemeine Schreibweise beobachten und wenn es dann im täglichen Gebrauch eine klare Tendenz gibt, dass die Walnuss mit h geschrieben wird, dann ist das halt so.

Es assoziiert auch so nett, dass man bei dieser Nuss die freie Wahl hätte, sie zu essen oder nicht. Dann solltest Du aber auch durchziehen und den Scheinfisch treffend "Wahl" nennen, er könnte dann auch besser als Logo für die nächsten Wahlen herhalten.

So wie vielleicht irgendwann demnächst das "funzen" üblich (und damit zwingend richtig) sein wird.

Da kann das Wort Dir und mir noch so viel die Fußnägel aufrollen, das müssen wir alten Säcken dann halt aushalten :-)
Im Rahmen der allgemeinen Infantilisierung könntest Du dann auch wieder AA-Wurst sagen oder "Ich tomm!", wenn's mit den Damen mal richtig gemütlich wird. Gut fände ich in diesem Sinne auch eine völlige Abschaffung der Grammatik. Man versteht sich doch auch so!

Beim Scheidungsprozess:
"Frau mir Leben gemacht Hölle. Ich ihr Leben gemacht auch Hölle! Frau Eisdiele, ich zu Haus Bebifon! Ich Scheidung! Frau nickes Rente! Ich Kind, Frau meinetwegen Eisdiele!"

Beim Arzt:
"Ich nickes AA-Wurst! Drei Tage! Frau kochen, ich nix essen!"
"Du diese Bonbons lutschilutschi, dreimal am Tag, dann wieder AA-Wurst!"

An der Uni:
Prof 1: "Ich Denkenkraften."
Prof 2: "Ich nobelpreisen!"
Prof 1: "Ich Wortgewalten!"

Fortsetzung bei Ernst Jandl....

Viele Grüße
Mathias Bigge

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Stilblüten der Schlechtschreibreform Teil XLII

Gunnar Bittersmann
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