Moin moin,
PS: Ich hab' mich hier eigentlich nur zu Wort gemeldet, weil mir diese, hier mittlererweile wöchentlich auftauchenden, weinerlichen Hartz-IV-Threads auf den Zünder gehen.
eigentlich halte ich mich auch aus diesen Diskussionen raus, aber Du lieferst mir hier einen kleinen Aufhänger.
Mir gehen diese Diskussionen auch langsam auf den Keks, vor allem auch, weil sie sich mittlerweile durch so ziemlich alle möglichen Foren ziehen.
Was mir bei diesen Diskussionen aufstößt ist, dass überwiegend (aber nicht nur) verallgemeinert und pauschalisiert wird.
- Eine Gruppe hat nichts Besseres zu tun, als nur über alles zu schimpfen, weil alles so schlecht und ungerecht ist.
- Eine andere Gruppe lebt finanziell und materiell gut gestellt, kann sich in die Belange der Hartz IV-Empfänger nicht hineinversetzen und versucht, mit allen Mitteln zu verurteilen.
-Eine weitere Gruppe bekommt AlG II, hat sich damit abgefunden (oder sucht stillschweigend nach Arbeitsplätzen), meckert aber nicht und verhält sich zurückhaltend.
Eins im Voraus: Ich bin nicht unbedingt gegen Hartz IV, finde einige Sachen auch gut. Aber, wie es so oft ist, es wird auch immer Leute ungerechtfertigt treffen.
Ich habe über 10 Jahre in der Erwachsenenqualifizierung (für Arbeit suchende) gearbeitet (teilweise im Friedrichshain und teilweise in Neukölln - hier in Berlin) und dabei die verschiedensten Menschen kennengelernt. Zu tun hatten wir es mit unterschiedlichen Gruppen, z. B.
- Schwerbehinderte/Rehabilitanten,
- aus verschiedensten Gründen schwervermittelbare Arbeitslose (ja, es heißt Arbeit suchende),
- Leute, die von selbst zu uns kamen und die Fort- und Weiterbildungen teilweise selbst finanzierten,
- Leute, die aufgrund der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt eine neue Perspektive suchten,
- Leute, die einfach nur mal von zu Hause weg wollten, weil ihnen die Decke auf den Kopf fiel,
- ….
Wenn man mit diesen Menschen länger zusammenarbeitet, stellt man irgendwann fest, dass es keine Verallgemeinerungen geben kann.
Ich würde aus der Erinnerung heraus ganz grob schätzen, dass von allen Teilnehmern ca. 75 % wirklich arbeiten wollten (zumindest anfangs). Für den Rest waren diese Seminare teilweise Alibis, um eben dem Arbeitsamt/der Arbeitsagentur zu zeigen, dass sie wirklich aktiv sind. Die letztgenannte Gruppe hat man aber irgendwann durchschaut:
- häufige Krankschreibungen,
- Undiszipliniertheiten,
- Großkotzertum ("Ich kann das doch schon und zeige den Anderen mal, wo es lang geht."),
- Inaktivität bei der Suche nach Praktikumsplätzen ("Das Arbeitsamt hat uns gesagt, dass das der Bildungsträger für uns macht.")
- Krankschreibung bei Praktikumsbeginn,
- alle möglichen Ausreden (auch wieder inklusive Krankschreibung) wenn ein fester Arbeitsvertrag drohte,
- ….
An diesen Teilnehmer konnte man sich meist die Zähne ausbeißen. Überwiegend waren die so clever, dass man denen nichts nachweisen konnte.
Die erstgenannte Gruppe der Arbeitswilligen gliederte sich wiederum in verschiedene Gruppen auf, die ich aber aus Zeitgründen nicht ausführlich benennen kann und möchte. Im Wesentlichen ging es aber darum:
1. Da waren die Leute, die wirklich arbeiten wollten, weil sie die Spirale der Arbeitslosigkeit erkannten. Die waren aktiv und fanden sich mit den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes ab. Es war aus verschiedensten Gründen (z. B. niedrigere Löhne/Gehälter, weitere Arbeitswege, usw.) nicht leicht für sie, aber in vielen Fällen konnte auch durch die Zusammenarbeit zwischen Teilnehmer und Bildungsträger ein Arbeitsplatz gefunden werden. Klar, ein Teil davon kam durch Beziehungen des Bildungsträgers zu Firmen zustande. Aber: Die Leute wollten arbeiten. In einem Fall hatte ein Teilnehmer eine Arbeit für 3,25 € pro Stunde aufgenommen, allerdings schon mit der Option, sich hocharbeiten zu können (Wachschutz -> Flughafensicherung). Das ist kein Tibfäler.
2. Vor allem in den Bereichen, in denen die Leute nicht mehr in die alte Branche zurück konnten (Behinderung, Änderungen auf dem Arbeitsmarkt, …), kam aber auch die Ernüchterung. Erstmal waren sie Seiteneinsteiger, zum Anderen haben sich die Löhne/Gehälter selbst nicht gerade zum Positiven entwickelt. Auch da kam die Erkenntnis, dass man teilweise nur unter Umgehung bisheriger Bequemlichkeiten überhaupt etwas erreichen konnte. Manche fanden sich damit ab, manche Leute gelangten dadurch aber auch in die Gruppe von Arbeitslosen, die dann gar nicht mehr arbeiten wollten.
Usw., usf. Man könnte hier noch viel schreiben und differenzieren, aber das würde wahrscheinlich niemand lesen.
Dann gibt es noch einen anderen Punkt: Viele hier sind der Meinung, dass Hartz IV-Empfänger auf unsere Kosten leben. Dazu meine Meinung:
Ich hatte schon seit vielen Jahren den Wunsch, mich selbstständig zu machen, hatte aber irgendwie immer Angst davor. Als es mit der Erwachsenenqualifizierung bergab ging und die Perspektiven für uns schwanden, habe ich es dann in die Hand genommen und bin mittlerweile seit fast 1½ Jahren selbstständig. Bereut habe ich es nicht, aber es ist natürlich ein Knüppel-Job. Ich weiß also auch, was es heißt, wenn man sich sein Geld _verdienen_ muss und verfluche die Meinungen, dass man ja viel besser lebt, wenn man Hartz IV empfängt. Ich habe auch in der Bekanntschaft so einen Fall: Frau geht knüppeln (Möbelhaus - also wirklich Knüppel-Job), Mann bekommt Hartz IV. Der hat sich mittlerweile damit abgefunden und genießt es. Inzwischen meckert der schon herum, wenn er überhaupt mal aus dem Haus muss.
Aber auch wenn mich das anstinkt, denke ich doch an die Leute, die es wirklich still und heimlich versuchen - die Stellen akquirieren, sich bewerben und alle Möglichkeiten nutzen. Und das sind die Leute, die sich in den seltensten Fällen mal zu Wort melden. Wieviel Prozent der Arbeitslosen das sind, weiß ich nicht - aber das sind die, die wirklich in den Allerwertesten gekniffen sind und die, die es am schwersten haben.
Deshalb nochmal mein Eindruck: Bei solchen Threads melden sich nicht immer, aber sehr oft die Leute zu Wort, die entweder nur meckern können oder die Leute, die aus einer vermeintlich sicheren Position heraus meinen, alles verallgemeinern und verurteilen zu können. Es gibt aber immer noch Individualität …
So langsam könnte das Thema hier auch mal ausklingen.
Leider wird es wohl nicht der Fall sein.
Die Diskussion führt, so wie sie hier geführt wird, eh' nirgendwo hin.
Ja, das ist auch kein Wunder. S. o. :-)
So, und nun mache ich mich wieder an die Arbeit, muss mein Geld verdienen. ;-)
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Jörg