Warum sollte die Unschuldsvermutung hier greifen?
Überleg Dir mal, welch hohe Hürden der Gesetzgeber für eine Hausdurchsuchung auflegt. Werden hier Menschen in sozialer Not nicht sogar schlechter gestellt als Kriminelle?
Der Vergleich funktioniert so aber nicht. Eine Hausdurchsuchung ist ein hoheitlicher Akt, den du nicht abwenden kannst, ohne dich vollends irgendwo hineinzureiten. Es steht dir jedoch frei, einen Besuch der Sozialamtsprüfer abzulehnen. Ergo ist es deine Entscheidung, wieviel du geben willst, um etwas zu bekommen. Verstehe es als ein Angebot.
Hast du eine private Kranken- oder Lebensversicherung abgeschlossen? Versicherungen behalten sich vor, die Angaben zu deinem Gesundheitszustand zu prüfen. Das hört gegebenenfalls nicht bei deiner Unterhose auf … und ich finde das nur gerecht. Mit dem Abschluss der genannten Versicherungen bin ich einem System beigetreten, das mich als Einzelnen relativ wenig kostet und jedem Einzelnen im Anlassfall eine schöne Stange Geld auszahlt bzw. ersetzt. Das System funktioniert nur, wenn es sich um eine Risikogemeinschaft handelt, in der die Gesamtkosten die Gesamtbeiträge nicht übersteigen. Da man die Höhe der Beiträge nicht beliebig steigern kann, weil sie dann für den Einzelnen nicht mehr leistbar wären, kann man eine angemessene Rentabilität nur erzielen, wenn man die Kosten auf ein sinnvolles Maß begrenzt. Dazu gehört selbstverständlich, dass betrügerisches Verhalten aufgespürt und abgestellt wird, was ohne entsprechende Kontrollen nicht funktionieren kann. Wir sind ja alle Ego-Schweine, gell. Ist das ein Eingriff in meine Privatsphäre? Ja, sogar ein erheblicher, aber das ist Teil des Preises, den ich zu bezahlen habe, um bei der Lebensversicherung in den „Millionär-mit-87 e. V.“ aufgenommen zu werden. Meine Wahl.
Nun könnte man argumentieren, dass man es sich nicht ausgesucht hat, in die Verlegenheit zu kommen, Sozialhilfe beziehen zu müssen. Das gilt sicher für die Mehrheit (als netter Mensch glaube ich ja an das Gute, kenne auch keine Statistiken diesbezüglich – will ich eventuell gar nicht kennen ;-)) und mag im Augenblick der Kontrolle nicht gerade angenehm sein. Auch hat man sich das Sozialsystem mit den bösen Prüfern nicht ausgesucht, man ist per Gesetz Mitglied. Ist das ein Eingriff in meine Privatsphäre? Ja, letztlich schon. Mir persönlich wäre es auch lieber, wenn sich jeder seine Risikogemeinschaften selbst aussuchen dürfte, weil ich dann mit Sicherheit mehr für mich „herausholen“ könnte. Dazu bedarf es aber eines gehörigen Maßes an Wissen(sbeschaffung) und Verwantwortung, was somit aufgrund der durchschnittlichen Verblödung der Gesellschaft leider ausscheidet. Man stelle sich vor, man erhielte Sozialhilfe nur, wenn man sich diesem System in weiser Voraussicht aus eigenem Antrieb angeschlossen hätte. Dann hätten wir tatsächlich Leute, die verhungern/erfrieren würden. Hardcore-Darwinismus. Weil wir in Summe doch ein bisschen sozialisiert sind, nehmen wir die unangenehmen Begleiterscheinungen in Kauf: Die Schwächeren mitzufinanzieren auf der einen und die Bedürftigkeit prüfen zu lassen auf der anderen Seite. Das ist doch ein fairer Tausch, oder? Wenn ich schon weit über einen Tausender monatlich abdrücke, will ich damit schließlich Gutes tun …
Kannst du dich mit den Bedingungen nicht anfreunden, dann erkläre deinen Verzicht auf die Leistung, und die Kontrollen hören schlagartig auf.
Guck doch mal genauer hin, wieviele Kinder, Jugendliche und Alte da betroffen sind, wieviele alleinerziehende Mütter.
Alleinerziehende Mütter waren allesamt keine alleinzeugende Jungfrauen. Wo sind da die Väter, warum werden diese nicht in die Pflicht genommen? Was hat das mit dem Sozialsystem zu tun, ist das nicht eine privatrechtliche Angelegenheit?
Sollen die ihre Kinder verhungern lassen?
Verhungernde Kinder kann ich mir in unserer überfetteten Gesellschaft kaum vorstellen.
Was ist mit einem Malocher, der 30 Jahre und mehr eingezahlt hat und dessen Firma jetzt pleite gegangen ist? Der hat mehr in die Systeme eingezahlt als er jemals herausbekommen wird.
Natürlich, er hat für die Allgemeinheit gezahlt, die sich dafür revanchieren wird. Was die Krankenversicherung betrifft, würdest du also einem Berufsanfänger die Behandlung verweigern? Eben. Und zur Arbeitslosenversicherung: Sie ist kein persönliches Sparschwein, das irgendwann fette Gewinne abwirft wie eine Kapitalversicherung, sondern die Versicherung gegen einen plötzlichen starken Abfall der Einkünfte. Der Zeitraum, auf den sie sich bezieht ist nicht, wie du das scheinbar missverstehst, der der bisherigen Einzahlung, sondern der der nächsten paar Monate.
Soll der rechtlos dastehen? Ist das nicht zutiefst ungerecht?
Von welchem Recht sprichst du denn? Das Recht auf Privatsphäre endet natürlich dort, wo ich privat nicht mehr in der Lage bin, mich ausreichend selbst zu versorgen.
Ausserdem finde ich nicht, dass ein Staat das Recht hat in jedem Detail deiner Privatspäre zu wühlen auch wenn er eine Leistung erbringt.
Wir sind der Staat und wir wollen das, weswegen es auch so ist.
Es geht nicht um "jedes Detail", sondern um den jeweils betroffenen Bereich.
Es scheint fast so, als sei für die Behörden jeder Bereich betroffen. So kannst Du auch als Partner eines Sozialempfängers ins Visier der Behörden geraten. Ist das für Dich OK?
Ja. Eine Ehe ist – finanziell betrachtet – eine Erwerbsgemeinschaft und damit eine Risikogemeinschaft. Soll der/die gescholtene Vorstandsgatte/-gattin denn die selben Ansprüche haben wie unsereins? Die ÖVP hat übrigens das einkommensunabhängige Kinderbetreuungsgeld für ihre vergleichsweise gut situierte Klientel mit dem Slogan „Jedes Kind ist gleich viel wert.“ durchgedrückt. Sehr clever, diese erste Liga. Bist du dagegen, bist du für eine Bedarfsprüfung. You lose. ;-)
Meinst Du nicht, dass die Menschen in dieser Gesellschaft auch dann noch etwas zählen, wenn sie in finanzielle Not geraten sind? Wieso ist das für Dich einfach so selbstverständlich, dass das reiche Deutschland derart viele Menschen abtut und wie Mist behandelt?
Wer tut das? Warum stellst du alle, die eine korrekte Bedarfsprüfung fordern in die menschenverachtende Ecke? So wie ich das lese, wollen wir eine strengere Prüfung, um unterscheiden zu können, wer Zuwendungen benötigt, um diesen Leuten dann gegebenenfalls sogar mehr zukommen zu lassen. Wenn ich die Polemik umdrehte, machstest du dich für Schmarotzer stark und das würdest du dir wohl auch nicht gefallen lassen. #464
Es ist doch oft reiner Zufall, wen es erfasst. Halbwegs verdient, dann Scheidung, da ist man blitzschnell ein Sozialrentner.
Siehe ↑ Erwerbsgemeinschaft. Andererseits, wieso überhaupt?
Bist Du so ein toller Hecht, dass Dir das gar nicht passieren könnte? Längere, chronische Krankheit z.B. als Selbständiger, das kann doch passieren, oder?
Natürlich kann das jedem von uns passieren, daher sind wir alle froh, uns im Anlassfall gegenseitig zu unterstützen. Selbständige sind in dieser Hinsicht tatsächlich arme Schweine, weil sie ihre eigene kleine Risikogemeinschaft sind. Da besteht für mich Handlungsbedarf.
Oder wächst Dir Gras aus den Ohren?
Rauchen macht friedlich.
Wenn ich bedürftig bin, werde ich mich hüten gegen angemessene Kontrollen Veto einzulegen - weil ich damit auch all denen, die eigentlich keinen Anspruch haben und "bescheissen", ihren Anteil am Kuchen sichere. So blöd darf ich doch eigentlich gar nicht sein?
Das klingt für mich absolut nachvollziehbar.
Na, besonders durchdacht wirken Deine Beiträge nicht, zumindest nichts von wirklichem Interesse an den Leuten, aber damit liegst Du ja vielleicht im Trend.
Reine Polemik.
Es gibt doch Leistungsempfänger in dieser Gesellschaft, deren Ansprüche viel zweifelhafter sind, die trotz perfekter Absicherung Subventionen, Steuergeschenke, tolle Abfindungen, übergangsgelder usw. kassieren. Warum geht man nicht mal durch deren Häuser und prüft, ob die Ansprüche sozial gerechtfertigt sind?
Zum Beispiel?
Du trittst gern nach unten, wie wär's mit der guten alten Rittermentalität, sich die Feinde in der ersten Liga zu suchen?
Wenn ich Abends nach einem langen Tag heimkomme, mich mit den anderen Arbeitstätigen im Supermarkt anstelle, anschließend den Haushalt schmeiße und mich dann irgendwann hinsetze und abschalte, bin ich alles, nur nicht der, der irgendwo „oben“ ist. Wenn ich dann lesen muss, wovon sich mancher behördlich terrorisiert fühlt, dann wünsche ich ihm 100 Jahre lang solche Arbeitstage, wie ich sie des öfteren habe. Nein, ich müsste nicht arbeiten, wenn ich kein Geld verdienen wollte und ich müsste mich nicht kontrollieren lassen, wenn ich vom Sozialamt keines wollte. Ist doch fair, oder?
Post-it: Das nächste Mal lese ich Tims Antworten, bevor ich so einen Sermon verfasse und klicke dort auf fachlich hilfreich. Verdammte Bürokratie! ;-)
Roland