Hallo,
wer auch immer du bist, du bist nicht allein. Meinen Eltern geht es auch sehr schlecht. Mein Vater wurde von Vorgesetzten bis zur Arbeitsunfähigkeit psychisch zermürbt und dann obendrein vom Arbeitgeber gekündigt, weil er Klage dagegen erhoben hat. Meine Mutter ist schon seit 5 Jahren in Frührente, weil sie ebenfalls bis zur Arbeitsunfähigkeit gemobbt wurde. Ja, wir sind Ausländer und wir haben es deutlich zu spüren gekommen. Ihre finanzielle Mittel sind dadurch sehr beschränkt und es kostet tausende von Euros um einen Anwalt loszuschicken, um sein Recht zu bekommen. Aber sie bekommen ihr Recht nicht, denn es scheint die bequemste Lösung für alle Beteiligten zu sein einen kleinen Angestellten abzuwinken, als eine Hand voll hohe Tiere zu maßregeln. Sie sind völlig fertig und bekriegen sich gegenseitig. Gerade heute Morgen hat meine Mutter das Badezimmer zertrümmert. Und trotzdem ist es nur ein winzig kleines Übel. Mein allerbester Freund (26) ist dieses Jahr gestorben. Seine Eltern erkenne ich auch nicht mehr wieder. Ihnen geht es wahrscheinlich genau so wie deinen Eltern.
Das soll hier jetzt keine Beschwerde sein, sondern Mitgefühl. Ich verstehe wo du stehst und was dir durch den Kopf geht. Plötzlich ist man mitten in einer Situation, wo man eine Entscheidung treffen muss, die eine lebenslange Tragweite hat. Soll man etwas machen, Einfluss üben und die Dinge versuchen zu verändern?
Ich stecke gerade meine gesamte Energie in mein Studium und das Ziel ist in greifbarer Nähe. Ich kann mein Studium schneller als andere mit fantastischen Noten abschliessen. Das ist genau das, was sie schon immer wollten. Aber wenn ich so weiter mache, kann ich ich mich nicht um sie kümmern. Soll ich lieber anhalten, ein mittelmäßiger Student werden und mich für meine Eltern einsetzen? Ich könnte ihnen an so vielen Stellen helfen und mit ein oder zwei Jahre intensiver Arbeit vielleicht eine finanziell und emotional stabile Situation für sie herbeiführen. Aber mein Studium würde unausweichlich darunter leiden und ich kann doch nicht meinen Eltern in einer so schwierigen Zeit ihren Lebenstraum wegnehmen. Sie selbst sagen zu mir, sir würden sich lieber erhängen, als dass sie mich in irgendeiner Weise behindern oder mir auf der Tasche liegen. Es ist eine sehr schwere Entscheidung. Egal wie man sich verhält, man wird mit den Folgen ein Leben lang leben müssen.
Neulich inspirierte mich ein Dokumentarfilm. Man sah wie eine kleine Gruppe Neanderthaler in ihren Überlebenskampf weite Strecken wandern musste. Eines Tages konnte der Älteste der Gruppe nicht mehr mithalten und setzte sich auf einen Stein auf einer Bergkuppe. Der Rest der Gruppe hielt kurz Inne und schaute zum Alten zurück. Aber dann drehten sie sich wortlos um und wanderten weiter und allen war es klar, dass das gerade ein notwendiger Abschied war.
Und so habe ich meine Entscheidung auch getroffen. Sieh nicht zurück, egal wie weh es tut. Trage es mit Stolz und erfülle die Hoffnungen, die deine Eltern in dich gesteckt haben, um ihr Leben zu ehren und mit Sinn zu erfüllen.
Viele Grüße
Cruz