Hallo Ludger,
Dir sind die Implikationen schon klar bei dieser Vertrauensübertragung.
Natürlich. Jeder Prozess mit mehreren beteiligten Entitäten, seien es juristische oder natürliche Personen oder eben Software (Deswegen der halbwegs passende Begriff Entität. Mitspieler wäre auch passend) erfordert Vertrauen gegenüber diesen Entitäten. Das heisst das Vertrauen in den Prozess hängt ausser von dem Vertrauen in den Algorithmus auch von Vertrauen in alle beteiligten Ebenen und Entitäten ab.
Daraus folgen für mich zwei Dinge: Zum einen ist ein Prozess mit weniger Beteiligten Entitäten vertrauenswürdiger. Das ist das, worauf Du mich gerade ansprichst. Zum anderen die damit verwandte Folgerung, dass ein Prozess, bei dem man nicht Überblick über alle Entitäten hat oder Möglichkeit zur Vertrauensbildung bestehender Entitäten weniger vertrauenswürdig.
Würden Wir nicht machen, da ist eine (nicht erforderliche) dritte Partei dabei
Die dritte Partei wird auch nicht erfordert; sie ist nur möglich. Man kann ebenso gut sein eigener Identitätsprovider sein, auf seinem eigenen Webspace. Und wie gesagt: Man hängt nicht vom Identitätsprovider ab – man kann ihn auswechseln.
Warum die Möglichkeit einer dritten Partei? Weil eben nicht jeder die technische Fähigkeit für das Hosting der für OpenID-Auth notwendige Software hat und weil nicht jeder Lust hat, selber zu hosten. Dadurch gibt es Drittdienste, die das als Service anbieten. Du diskutierst doch selber bei Stefan mit, der sich explizit auf eine Reise durch die neuen Webdienste von Anbietern gemacht hat.
und die Vorteile halten sich in engen Grenzen.
Sicherlich. Allerdings befinden wir uns gerade in einem Thread, in dem gerade über das Fehlen einer Single-SignOn-Lösung gejammert wird. Offenbar besteht Bedarf. ;)
Oder anders und etwas provokativer formuliert
(Ludger, Dir ist aber schon klar, dass Du wesentlich mehr sympathischer wärst, würdest Du auf Stilmittel wie gezielte Provokation, Polemik, „Stammtisch modern“ verzichten würdest? Dass Du Dein Image und damit die Qualität der Diskussionen stark verbessern könntest, wärest Du weniger Kunstfigur und mehr Mensch? Ja? Ich wollte das nur noch mal wieder am Rande vorschlagen.)
Kann man sowas machen und gegen Wahlautomaten sein? (Falls Du es bist, das haben Wir ja nicht induziert.)
Ich bin es sogar. Und zwar genau aus den Resultaten von obigen Vertrauensbewertungskriterien. Wahlautomaten fügen dem Prozess mehr Mitspieler hinzu, zusätzlich den bereits bestehenden (Wahlhelfer, Wahlleiter auf verschiedenen Ebenen, Software zur Verarbeitung der Resultate). Der offensichlichste neue Mitspieler ist der Wahlautomat selber, aber um mein Vertrauen zu diesem entwickeln zu können, muss ich schon wieder mehr Mitspieler bewerten:
• Die die Wahlautomaten herstellende Firmen. Diese ist naturgemäß nicht sonderlich transparent; die niederländische Firma, die die deutschen Wahlautomaten herstellt sticht euphemistisch ausgedrückt nicht gerade durch vertrauensbildende Massnahmen wie Ehrlichkeit, Transparenz und Aufrichtigkeit hervor.
• Die staatlichen Organe, die die Wahlautomaten überprüfen. Man ganz abgesehen davon, dass es mir vollkommen unverständlich ist, dass die PTB die Überprüfung übernimmt und nicht das in meiner Meinung kompetentere BSI, glänzt der Bericht der PTB mit Passagen, bei denen ich mir nur noch verständnislos an den Kopf fassen kann; insbesondere das glatte Vertrauen auf den Hersteller (Die berüchtige Siegel-Passage).
• Diejenigen, die die Wahlautomaten aufbewahren und vor Manipulation schützen. Dazu gibt es so gut wie keine Informationen, anhand derer man die Vertrauenswürdigkeit bewerten kann.
• Das angepasste Prozedere der Wahlhelfer um die Vertrauenswürdigkeit der Wahlautomaten zu gewährleisten. Die Berichte aus Cottbus sind da nicht besonders vertrauenserweckend; auch meine eigenen (viel zu spärlichen) Beobachtungen hier in Dortmund erzeugen für mich nicht genug Vertrauen. Ja, ich hab auch schon auf Wahlautomaten gewählt. Ich war jung und dumm. ;)
Um es in Deinen Wort zusammenzufassen: Es erfordert Vertrauen gegenüber nicht erforderlichen Dritten Parteien und die scheinbaren Vorteile halten sich in sehr engen Grenzen.
Dazu kommt noch ein weiterer, gesellschaftlicher Aspekt: Ein Prozess, gegenüber dem man skeptischer ist erzeugt einen Vertrauensverlust, auch in Bezug auf Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit. Die Wahl von Repräsentanten, egal wie man den Repräsentanten gegenüber steht, ist einer der wesentlichen Akte einer Repräsentanten-Demokratie und man sollte sich bemühen, diesen so vertrauenswürdig wie möglich zu gestalten. Der Worst Case muss ja nicht mal 99%-Ergebnisse wie unter den Ländern des Neuen Europas zur Zeit der Herrschaft von Einheitsparteien sein. Es reicht schon aus, dass das Vertrauen in den Prozess beschädigt ist; Manipulation ist ja umso geschickter, desto weniger auffällig.
Ich bin garantiert kein Luddit mit der alleinigen Motivation des Dagegenseins, bessere und vertrauenswürdigere Systeme hätten durchaus meine Sympathie. Ich würde einfach nur gerne mehr Vorteile als Nachteile sehen, ehe ich an einem so Hohen Gut rumfrickel. Denn ansonsten bleibe ich konservativ und bewahre lieber das bestehende, relativ gut funktionierende System.
Tim
(sich hiermit in diesem Thread aus dem Thema Wahlcomputer verabschiedend.)