Hallo,
Lieber Martin,
vielen Dank für das händische Weglassen des Artikels. ;-)
[das Auswendiglernen]
zu wenig? Es schockiert mich, dass du das so siehst.
Okay, ich weiß, dass du Musik unterrichtest, in dem Bereich mag der Schwerpunkt etwas anders liegen. Um ein Lied singen zu können, muss ich auch den Text auswendig kennen. Aber ich muss nicht verstehen, _was_ da besungen wird.
Du wirst mir sicherlich zustimmen, dass es in Sachen Allgemeinbildung oder Allgemeinwissen nicht genügt, wenn man weiß, wie man etwas nachschlagen kann. Man braucht einen gewissen Bestand an (warum nicht auswendig?) gelerntem Faktenwissen. Je größer der ist, desto besser kommt man zunächst ohne Nachschlagen zurecht.
ja, das stimmt natürlich. Ich hatte beim "Auswendiglernen" auch nicht an Faktenwissen gedacht - Geschichtsunterricht oder ein Medizinstudium basieren auf einem großen Anteil von Auswendiglernen. Okay, ich habe den Begriff unbewusst eingeschränkt, und habe nur das Einstudieren von Texten wie Gedichten, Versen und Liedern darunter verstanden.
Im künstlerischen Bereich ist es schwieriger. Da kommt man mit Nachschlagen weniger gut zurecht. Wie willst Du ästhetische Wahrnehmung lernen, wenn Du keine Bezugsgrößen zur Verfügung hast?
Ästhetische Wahrnehmung kann man IMO nicht "lernen", sie ist ausschließlich eine emotionale Frage. Zwar spielt die Erziehung und die Prägung durch die Umwelt da eine große Rolle - wie sonst wäre es zu erklären, dass Ästhetik in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich verstanden wird? Aber letztendlich ist Ästhetik, ob mit oder ohne äußeren Einfluss, eine Sache des persönlichen Geschmacks. Mancher empfindet eine Mozart-Symphonie oder ein Van-Gogh-Gemälde als pure Ästhetik, ein anderer findet beides scheußlich.
Und wieso liest sich Dein Einwand so, als schließe das Auswendiglernen das Verständnis völlig aus?
Keine Ahnung. Denn so war es ganz sicher nicht gemeint. Auswendiglernen ist in Ordnung, aber nicht als Selbstzweck, sondern nur als Hilfsmittel. Ich halte nichts davon, Gedichte auswendig zu lernen, denn darin sehe ich keinen Nutzen (nicht einmal, wenn ich das Feld der Ästhetik in die Betrachtung einbeziehe). Da fehlt mir die Möglichkeit, dieses Wissen wieder anzuwenden, es ist totes Gedächtniskapital.
Anders sieht es aus beim Auswendiglernen von Formeln und Gesetzmäßigkeiten in Mathematik und Naturwissenschaften, beim Auswendiglernen von Vokabeln in Fremdsprachen oder von historischen Begebenheiten und Jahreszahlen. Dieses Wissen kann man -je nach persönlicher Neigung und Ausrichtung- irgendwo wieder anwenden und nutzen.
Natürlich fördert das schiere Auswendiglernen kein Verständnis per se, aber vielleicht gelingt das Verständnis leichter, wenn mit dem auswendig Gelernten dann gearbeitet werden kann?
Vielleicht gibt es Menschen, auf die das zutrifft - ich gehöre nicht dazu. Ich brauche das Verständnis der Zusammenhänge als Grundvoraussetzung, um etwas wirklich zu "lernen". Deshalb war ich auch in der Schule gerade in den Fächern sehr schlecht, in denen andere durch stures Auswendiglernen punkten konnten.
Auswendiglernen hat für mich nur da einen Sinn, wo man sich Dinge merken muss, die sich nicht allein durch Verständnis und Schlussfolgerung ergeben. Das Verständnis der Zusammenhänge und damit die Fähigkeit der Herleitung sehe ich als viel wertvoller an, als die gleiche Information einfach auswendig zu lernen.
Das Einmaleins ist sowas von überflüssig, denn mit dem Taschenrechner kann ich das alles ganz schnell nachrechnen lassen. Nicht wahr?
Korrekt, aber gedanklich falsch, finde ich. Das ist ein gefährlicher Trend der letzten Jahre oder gar Jahrzehnte. Das Gehirn wird immer mehr durch Prothesen unterstützt und dadurch mehr und mehr unterfordert. Vielleicht ist das ein Grund für die zunehmende Verblödung, mit der wir uns gegenwärtig konfrontiert sehen.
Wer rechnet heutzutage nach dem Tanken noch 32.7l/629km im Kopf aus? Wer wählt noch Telefonnummern aus dem Gedächtnis, anstatt sie aus dem elektronischen Telefonbuch abzurufen? Wer gratuliert noch termingerecht seinen Lieben zum Geburtstag, ohne sich von seinem Organizer (Smartphone) an den Termin erinnern zu lassen? - "Ich schon", kann ich zu allen drei Fällen sagen, und ich finde es bedenklich, dass diese Fähigkeiten mehr und mehr verkümmern.
Es ist okay, wenn man auf technische Hilfsmittel zurückgreift, aber man sollte dennoch in der Lage sein, die gleiche Aufgabe im Bedarfsfall auch ohne die technische Krücke zu erledigen.
Ich bin mir sicher, dass ein Gedächtnistraining mehrfache Auswirkungen für das Lernen im Allgemeinen hat, als im speziellen Anwendungsfall vielleicht offensichtlich wird. Das Rilke-Gedicht ist vielleicht nur ein Edelsteinchen westeuropäischer Kultur, aber immerhin hast Du es gelernt!
Nein, hab ich nicht. Ich erinnere mich, dass wir als Deutsch-Klassenarbeit mal eine Interpretation zu einem Gedicht von Rilke schreiben sollten. Aber ich erinnere mich weder an den Titel, geschweige denn das Gedicht selbst. Lernen im Sinne von Auswendiglernen musste ich es jedenfalls nicht.
Wenn man das "Begreifen" mit "Anfassen" in Verbindung bringt, wie willst Du da ein Gedicht "begreifen", wenn Du es nicht wirklich physikalisch anfassen kannst?
Durch Lesen, lautes Vorlesen, Verstehen der Aussagen, und dann noch besser intoniertes lautes Vorlesen?
Das Auswendiglernen mag da vielleicht ein passabler Ersatz sein.
Der Ansicht bin ich nicht.
["Komm lieber Mai und mache" (Overbeck/Mozart)]
Ich kenn's überhaupt nicht, aber das muss nichts heißen - im Bereich Volkslieder bin ich relativ unbedarft (und habe auch wenig Interesse, diese Wissenslücken aufzufüllen).
Es ist kein Volkslied, sondern ein Kunstlied.
Einverstanden. Ich interessiere mich so wenig für diesen Themenbereich, dass das für mich "alles dasselbe" ist. Da bin ich dann auch bekennender Banause - ebenso wie ich wohl mal gehört habe, dass es verschiedene Jazz-Stilrichtungen gibt, aber ich kann sie nicht unterscheiden. Ich bin nur bei fast jedem Jazz-Stück froh, wenn's vorbei ist.
So long,
Martin
Die Natur ist gnädig: Wer viel verspricht, dem schenkt sie zum Ausgleich ein schlechtes Gedächtnis.
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