Ja, da gingen wohl die Pferde mit mir durch. Tatsächlich war in diesem Fall der Verhätlnismäßigkeitsgrundsatz nicht Teil der Verfassung (zumindest hab ich ihn da nicht gefunden), sondern im Grenzgesetz mitkodifiziert, namentlich §27. Nachzulesen ausführlich in der Urteilsbegründung des BGH.
Der Fall ist nicht verwendbar, weil durch wildes Ballern und also ziemlich leicht erkennbar sogar gegen DDR-Recht verstoßen wurde:
Um die Ausführung des Befehls auf jeden Fall sicherzustellen, der zur Vereitelung der Flucht auch die bewußte Tötung des Flüchtenden einschloß, schossen sie - das als Vorstufe vorgeschriebene gezielte Einzelfeuer auslassend - in kurzen Feuerstößen Dauerfeuer.
Absatz 3.
und:
Die in der Schulung behandelte Befehlslage sah folgendes Handlungsschema vor, wobei jeweils zur nächsten Handlungsstufe überzugehen war, wenn die vorherige keinen Erfolg zeigte oder sich von vornherein als nicht erfolgversprechend darstellte: Anrufen des Flüchtenden - Versuch des Postens, den Flüchtenden zu Fuß zu erreichen - Warnschuß - gezieltes Einzelfeuer, falls erforderlich mehrmals, auf die Beine - "Weiterschießen, egal wie, notfalls auch erschießen, bis die Flucht verhindert ist".
ebenda, Absatz 5
daß das von den Angeklagten abgegebene Dauerfeuer nicht durch § 27 des Grenzgesetzes gedeckt, sondern nur Einzelfeuer gestattet gewesen sei; dafür spreche auch die Regelung des § 27 Abs. 5 des Grenzgesetzes, nach der Menschenleben nach Möglichkeit zu schonen sei.
ebenda, Absatz 7
Anders ausgedrückt: Die beiden haben selbst nach DDR-"Recht" "durchgedreht". Natürlich wurde das ostzonal nicht bestraft - Aber nur deshalb, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. So ein Durchdrehen der beiden "Genossen" durfte auf keinen Fall öffentlich werden.
Schön übrigens, dass der BGH wie folgt ausführt:
"Die Angeklagten waren vor dem Antritt ihres Dienstes an der Grenze gefragt worden, ob sie bereit seien, gegen "Grenzbrecher" die Waffe einzusetzen; sie hatten die Frage ohne innere Vorbehalte bejaht."
Mir glaubt nämlich mancher nicht so recht, wenn ich aussage, dass der Dienst bei den Grenztruppen freiwillig war. Man konnte zumindest in den 80ern (um die geht es hier) diese Frage nämlich durchaus mit einem klaren "Nein!" beantworten (was ich und die Mehrheit der anderen auch getan haben) - und das war es dann.
Jörg Reinholz