Mathias Schäfer (molily): JavaScript-Effekthascherei: Zurück in die DHTML-Vergangenheit

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Eine kurze Polemik aus dem Effektewunderland

Haben wir denn nichts dazugelernt?

Momentan fühle ich mich beim Surfen wieder ins Jahr 2000 zurückgeworfen. Damals war ich an einen Pentium 133 gebunden und all jene Websites, die durch Opulenz zu überzeugen vermochten, waren gleichsam unbedienbar. Flash-Präsentationen und DHTML-Spielereien waren damit gestrichen – wenn ich schnell vorankommen wollte, deaktivierte ich diese fragwürdigen Features gleich.

Im Jahr 2006 gehören solche Zugangsschwierigkeiten der Vergangenheit an – so glaubt man zumindest! DHTML ist tot und wird nach und nach durch unaufdringliches, verantwortungsvolles JavaScript ersetzt. Zeitgemäßes DOM Scripting heißt im Gegensatz zu DHTML: JavaScript wird für nützliche Dinge eingesetzt, anstatt nur für Eindruck schindende, grelle und glitzernde Effekte. Und auch Flash-Autoren haben die Mentalität gewechselt.

Trotz zeitgemäßem Rechner ereilt mich der Eindruck im Jahr 2006 plötzlich wieder: Nach der segensbringenden AJAX-Revolution werden Webseiten mit an sich nützlichen interaktiven Features mehr und mehr mit »Effekten« zugeballert.

Fading like a Flower

Es taucht heutzutage nichts einfach auf dem Bildschirm auf, nein, es wird smooth eingefadet. Ein Container ist erst winzig und wächst dann gemächlich auf seine Endgröße heran. Wie putzig! Oder eine Box klappt ganz vorsichtig und geheimnisvoll auf, als fürchtete sie sich vor mir oder wolle mich nicht erschrecken. Herzallerliebst! Das Interface lebt und atmet, es bewegt sich ganz organisch. Durch Weichheit allerorten und Pastellfarben nimmt es auf mich Rücksicht. Es gibt nicht das Eine und das Andere, verschiedenes geht stets mit unzähligen Zwischenstufen ineinander über – πάντα ῥεῖ! Es überlagern sich nicht einfach Inhalte, wie grob wäre das, wenn ein Inhalt sich überheben würde und andere überdecken würde. Nein, die Ebenen leben symbiotisch miteinander und sind durch durch Haltransparenz stets miteinander verbunden. Wage ich es, den Fremdkörper namens Mauszeiger über eine Schaltfläche oder einen Link zu bewegen, so bekommt sie gleich Herzklopfen, pulsiert, errötet, blinkt oder hüpft und wackelt gar vor Freude. Aktiviere ich einen Link, so erscheint das Gewünschte nicht einfach innerhalb eines Augenblicks. Nein, ein Übergangseffekt und eine Bewegung illustriert mir diesen Wechsel. Da wird eine Website zum Erlebnis, ein echtes Wechselbad der Gefühle! Da kommt kindliche Freude zurück.

JavaScript-Effekte: 99% bad!

Fading, Sliding, Folding, Moving, Transition, Mutation – diese lahmen Effekte machen die Bedienung einer Website zur reinen Tortur. Diese Interaktivität hat nichts mehr mit notwendigem Feedback der Bedienoberfläche gemein, sondern mit dämlicher Angeberei. Es ist Webdesign und nicht Pimp my ride!

script.aculo.us, moo.fx, Thickbox2, Lightbox2 und wie sie alle heißen: Wunderbar, toll, Fortschritt, Zukunft! Aber es sind lahme Enten, die Inhalte nicht prompt zugänglich machen, sondern erst zum Ansehen bedeutungsloser Effekte zwingen, bevor ich sehe, was ich sehen will. Diese Effekte haben zumeist nur einen Effekt: Sie nerven.

In 99% der Fälle: Schmeißt die Effekte einfach heraus! Sie sind reine Spielerei und von modernem DOM Scripting Jahrzehnte entfernt, denn sie übertreffen mitunter übelste DHTML-»Effekte«. Kennt ihr noch die Scripte, bei denen irgendwelche Objekte ständig um den Mauszeiger kreisten? Da kräuseln sich jetzt noch meine Zehennägel. Zum Glück haben wir diese Ressourcenfresser verbannt. Aber das Gewichse mit dynamischen Farbverläufen und Transparenzen ist definitiv der neue Mausverfolger! Es zwingt jeden Rechner in die Knie, lenkt ab und hat den Charme einer Werbeunterbrechung, die nur sich selbst bewirbt.

Draggables, Droppables, Sortables, Selectables – nicht nur geschwollene Effekte werden aufgefahren, sondern auch ganze Interfacekonzepte erleben eine neue Renaissance. Zum Beispiel Drag & Drop. In meinem regulären Arbeiten mit dem Rechner kommt dieses UI pattern überhaupt nicht vor. Bei welchen Aufgaben ist das überhaupt nützlich? Und vor allem, wann die sinnvollste aller möglichen Lösungen? Seit es AJAX gibt, wird überall gedraggt und gedroppt, als wäre es die Revolution von Einfachheit und Komfort. Auch zu Drag’n’Drop ist in 99% der Fälle zu sagen: Just drop it!

Sie können Ihre Effekte jetzt ausschalten.

Verehrte Netizens, seien Sie ehrlich zu sich: Nutzen Sie den ganzen modernen Effektkram nur, weil er hip und Webzweinull ist? Haben Sie schlechte DHTML-Angewohnheiten wirklich hinter sich gelassen? Glauben Sie tatsächlich, dass Geblitze und Geblinke Ihr Webangebot attraktiver und Ihre Nutzer zufriedener macht?

Wie es sich für ordentliche Polemiken gehört, hat diese weder den Anspruch, sachlich, noch angemessen oder ausgewogen zu sein. Vielmehr steht nach den Regeln der Kunst die Rhetorik im Vordergrund.

Nachtrag

JavaScript gone wild on Gucci – Effektegewitter mit script.aculo.us