Hallo Christian,
(einen Moment lang hab ich überlegt, ob ich Dich in Zukunft sicherheitshalber mit "Chris" abkürzen sollte, damit mir nicht noch mal aus Versehen ein "Christoph" rausrutscht...? ;o))
Beim Lesen Deiner sehr engagierten Stellungnahme dachte ich plötzlich: was er da sagt, ist gar nicht so viel anders als das, was Stonie an anderer Stelle gesagt hat, und was auch ich an anderer Stelle gesagt habe. Wir wollen hoffen, daß Calocybe Dir jetzt nicht die Glaubwürdigkeit abspricht, wie er das bei Stonie getan hat... :o(
Ich stelle fest, daß es in dieser Diskussion (schon wieder mal) an vielen Stellen gar nicht darum geht, herauszufinden, was wahr ist, sondern nur noch darum, wer recht behält.
Und wenn das wirklich unser Ziel in dieser Diskussion sein sollte, dann haben wir alle unrecht.
Mit der Wahrheit ist das so eine Sache. Sie läßt sich nicht in Form einer "richtigen Meinung" an die Wand nageln. Aus Sicht der Wahrheit ist jede Meinung falsch -- weil nämlich jede Meinung höchstens einen Teil der Wahrheit zu fassen kriegt.
Was soll das, warum beschimpfen wir uns gegenseitig als Machos, Emanzen, und so weiter? Warum wettern wir, der jeweils andere sei unlogisch und könne nicht richtig denken? Warum ziehen wir die Intelligenz unseres Gegenübers in Frage?
Die Wahrheit, Ihr Lieben, ist, daß jede und jeder von uns hier das eigene Leben leben muß, und daß wir alle Angst haben, unsere liebgewordenen Vorstellungen aufzugeben. Denn wenn wir unseren Glauben (an Rollenvorstellungen, an Genetik, an Testosteron oder Östrogen, an Statistik, etc.) aufgeben, dann könnte es uns passieren, daß wir der Flut der Eindrücke, die uns das Leben aufbürdet, plötzlich nicht mehr gewachsen sind... Daß wir ins Schwimmen geraten, daß wir nicht mehr wissen, woran wir uns orientieren sollen, daß wir den Halt verlieren.
Die Verbissenheit, mit der einige Beteiligte (sowohl einige Männer als auch einige Frauen) diese Diskussion hier führen, erinnert mich sehr stark an ängstliche Hunde, die man in die Enge getrieben hat, und die nun beißen, um ihre Haut zu retten.
Aber was wäre denn so schlimm daran, wenn wir mal für einen Augenblick die Theorien und Beweise und Logik und Argumente fallen lassen, durchatmen und uns umsehen würden? Was würden wir sehen?
Vermutlich würden wir sehen, daß auch die anderen hier, mit denen und gegen die wir so vehement diskutieren, alle nur ihr kleines Leben leben und Angst davor haben, ohne festen ideologischen Halt dazustehen. Die Ideologien und Meinungen sind unterschiedlich, aber wir haben alle dieselbe Angst.
Theorien über Männer und Frauen sind Ideologien. Chauvinismus ist eine Ideologie. Feminismus ist eine Ideologie. Der unbedingte Glaube an Mathematik, Statistik und die Wissenschaften ist ebenso eine Ideologie wie der unbedingte Glaube an religiöse Dogmen.
Ideologien sind statisch. Starre Felsbrocken. Die Wahrheit ist ein fließenes Gewässer.
Jeder hat seinen klitzekleinen Teil von der Wahrheit in der Hand und klammert sich verzweifelt daran fest. Wir ballen unsere Hände zu Fäusten, damit uns dieses winzige bißchen Gewißheit nicht genommen werden kann, und schlagen mit diesen Fäusten aufeinander ein.
Aber die Wahrheit zu greifen, das schaffen wir auf diesem Wege nicht. Die Wahrheit läßt sich nur mit beiden Händen umfassen, und zwar mit _offenen_ Händen. Sobald wir eine Faust machen, um sie festzuhalten, haben wir wieder nur einen kleinen Teil erwischt.
Männer und Frauen sind in erster Linie Menschen. Menschen versuchen, ihr kleines Leben möglichst gut zu leben und ihm einen Sinn zu geben. Ich schlage vor, daß wir unsere Fäuste öffnen und die Ideologien für ein paar Stunden, ein paar Tage fallen lassen. Statt eine Ideologie mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, könnten wir zur Abwechslung mal versuchen, beide Hände offen zu halten. Und dann beobachten, wie die Wahrheit (vielleicht) ganz von selbst durch diese offenen Hände fließt und uns gelegentlich erlaubt, einen winzigen Teil von ihr mit eigenen, klaren, unverblendeten Augen zu sehen.
Herzliche Grüße,
Meg