Philosoph: Internet bringt dramatischen Wissensverlust
Das ist mal ein Posting, wo man förmlich gegen die Forum-FAQ verstoßen *muß* und sofort darauf antworten, ohne andere Meinungen vorher zu lesen ...
Die zunehmende Verbreitung des Internet führt nach Einschätzung des Philosophen Walther Zimmerli zu einem gravierenden Wissensverlust der Menschen. «Wir entwickeln uns nicht in eine Wissensgesellschaft», sagte der neue Präsident der Privat-Universität Witten-Herdecke am Dienstag in einem dpa-Gespräch. «Zwar haben wir immer besseren Zugang zu Datenbanken, aber wir verlieren dabei Teile unseres Wissens.»
Ich habe den schweren Verdacht, der der gute Mann die Begriffe "Wissen" und "Information" munter durcheinander wirft. Und "Datenbanken" haben mit Wissen nun wahrlich überhaupt nichts zu tun ...
Information ist für mich etwas Neutrales, Meßbares. Wissen ist für mich etwas Subjektives, nämlich etwas, das irgend*jemand* weiß. Eine verschlüsselte Datei auf einer Festplatte, die niemand mehr lesen kann, enthält in meinen Augen zwar noch Information, aber kein Wissen mehr. Na - egal.
Da immer mehr Daten im weltweiten Netz zu finden seien, brauche der Einzelne immer weniger Informationen abrufbar im Kopf zu haben. «Bei auswendig gelerntem Wissen schneiden wir im Vergleich zu früheren Zeiten miserabel ab.»
Genau hier würde ich die Unterscheidung zwischen Information und Wissen dringend brauchen, weil ich beides unterschiedlich handhabe.
Hier im Forum erhalte ich beides, sowohl Information ("es gibt XML") als auch Wissen ("Aaah, so geht das also, wenn ich dynamisch viele Dateien in Perl parallel öffnen und hineinschreiben will").
Bei Information nützt es mir etwas, wenn ich weiß (!), daß ich sie irgendwo finden kann. Bei Wissen nützt mir das normalerweise nichts, solange es nicht in meinem Kopf ist.
Deshalb widerspreche ich seiner These: Zwar gibt es im WWW ziemlich viele Informationen, aber meiner Meinung nach kann Wissen "im" WWW gar nicht existieren, sondern nur in dem Kopf eines denkenden Wesens. Und hier empfinde ich das WWW als ein Medium, das mir eine *weitere* Möglichkeit bietet, mit Menschen zu kommunizieren und nicht zuletzt mein Wissen dadurch zu bereichern. Es liegt an jedem Einzelnen, dieses Medium adäquat zu nutzen.
Die enormen Langzeitfolgen des Internet für die Menschen würden bislang zu wenig diskutiert,
kritisierte der Fachmann für angewandte Philosophie.
Wie sollen sie auch? So lang gibt es das Internet ja auch noch nicht, daß jemand eine Veränderung unserer Gesellschaft zielsicher auf die Existenz des Internets zurückführen könnte.
Ich würde es also anders formulieren, nämlich anstreben, daß der Umgang mit dem Internet fester und umfangreicher Bestandteil in der Ausbildung eines jeden Mitglieds unserer sich schnell wandelnden Gesellschaft werden sollte. Ein konstruktiver Ansatz war mir schon immer lieber als ein Kassandraruf.
«Das Problem ist, dass man benötigtes Wissen in den Datenmengen nicht mehr findet», sagte Zimmerli.
Falls er Informationen meinte, widerspreche ich ihm nicht unbedingt.
Allerdings wird die Entwicklung der Suchmaschinen nicht stehen bleiben. Und wer gefunden werden *will*, der kann ja auch aktiv etwas dafür tun.
Die Halbwertszeit von Geschriebenem werde immer kürzer. Wissenschaftler, Wirtschaftsexperten, Politiker und Journalisten hätten bereits den Überblick über die ständig anschwellenden Datenmengen in ihren Fachgebieten verloren. «Die Fähigkeit, die wachsenden Angebote zu selektieren, erreicht ihre Grenzen», sagte Zimmerli.
Alles wahr, aber nichts davon hat etwas mit dem Internet zu tun, sondern eher mit dem steigenden Bildungsniveau, dem steigenden Lebensstandard, dem folglich größeren Anteil des BIP für Forschung etc. Den entsprechenden Zeitpunkt dafür würde ich irgendwo in der industriellen Revolution ansetzen.
Das Internet vereinfacht 'lediglich' den Informationsaustausch. Auch vor dem WWW gab es schon internationale Konferenzen über Themen, von denen ein Normalbürger kein Wort mehr verstehen konnte. (Nein, ich meine *nicht* Politik ... ;-)
Unternehmen der Informationstechnologie bekämen dadurch immer mehr Macht. Mit Suchmaschinen und Internet-Diensten für einzelne Branchen und Wissenschaften machen sie das Internet für viele Anwender erst nutzbar. «Der Wissenszugang kann dabei selbstverständlich manipuliert werden», warnte Zimmerli.
Zu diesem Thema empfiehlt der freundliche Tankwart Umberto Eco, "Der Name der Rose". Die Manipulation des Wissens ist keine wirklich moderne Erfindung: "Geschichte wird von Siegern geschrieben" etc.