Sup!
Nicht nur, es kommt auch darauf an, ob man aufgrund des Gesamtbildes einer Person der Meinung ist, daß die Entschuldigung aufrichtig ist, d.h. daß der Betreffende eingesehen hat, daß er einen Fehler gemacht hat. Daß ein Politiker eine kontroverse Äußerung zurückzieht, hat mit einem solchen Eingeständnis wenig zu tun. Schließlich besteht das Problem mit Karzlis Äußerungen ja nicht unbedingt nur in der Verwendung des Wortes "Nazimethoden", sondern auch darin, daß er die "zionistische Lobby" verantwortlich gemacht hat, und mir ist wirklich unwohl, wenn jemand, der solche Verschwörungstheorien, die Anfang des Jahrhunderts recht beliebt waren ("Die Weisen von Zion"), in seiner Argumentation gebraucht, ein politisches Amt inne hat. Ich bevorzuge rational denkende Volksvertreter.
In einem Interview mit der rechtsextremen Zeitung Junge Freiheit http://www.junge-freiheit.de/yy11.htm hat Karsli gesagt:
'Man muß allerdings zugestehen, daß der Einfluß der zionistischen Lobby auch sehr groß ist: Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit "klein" kriegen.'
Verantwortlich gemacht hat er "die zionistische Lobby" in dem Artikel damit für gar nichts. Er hat meiner Meinung nach sagen wollen, daß der Einfluss der pro-israelischen Lobby in den Medien sehr groß ist. Wenn man sieht, was die letzte Veranstaltung des Zentralrats der Juden in Deutschland und des european jewish congress für Prominzenz angezogen hat und wieviel Medienecho dieser Angriff auf die FDP hervorgerufen hat, kann man nicht ganz von der Hand weisen, daß es eine pro-israelische Lobby gibt, die einen extremen Medieneinfluss besitzt. Ob die Bezeichnung "zionistische Lobby" jetzt sprachlich toll ist, sei dahingestellt; völlig blödsinnig war es aber nicht, was er gesagt hat.
Vielleicht solltest Du den ganzen Artikel lesen - die Tatsache, daß das Intervie in der Jungen Freiheit stand, heisst ja nicht, daß Karsli rechtsextrem ist. In der taz geben ja auch mal "rechte" Politiker Interviews.
Und ich finde es unangebracht, einen grösseren "moralischen Unterschied" konstruieren zu wollen zwischen "Wir wollen alle Menschen der Gruppe A auslöschen" und "Wir wollen das Land B, und während wir uns das unter den Nagel reissen, löschen wir alle Menschen der Gruppe C aus, die im Weg sind".
Der Unterschied besteht darin, daß in letzteren Fall die Menschen noch als Menschen gesehen werden, und Ihre Vernichtung nicht das Ziel ist - die USA hatten nie das Ziel, die vietnamesische Bevölkerung auszulöschen. Die Nazis dagegen haben versucht, die jüdische Bevölkerung zu vernichten, weil sie sie nicht als Menschen angesehen haben, die ihnen ebenbürtig sind.
Soso. Wichtig ist also nicht, was man tut (Menschen auslöschen), sondern die dahinter stehenden Motive? "Mildernde Umstände" für diejenigen, die quasi nebenbei wehrlose und unschuldige niedermähen, "besonders schwere Schuld" für offensichtlich geistesgestörte (denn Hitler muß einfach geistesgestört gewesen sein)?
Die USA hatten vor, die Kommunisten auszulöschen. Die Kommunisten sind eine Gruppe, die sich nur durch eine bestimmte Überzeugung von anderen Menschen unterscheiden. Einen großen Unterschied zwischen "Kommunisten auslöschen" und "Glaubensgemeinschaft auslöschen" kann ich nicht sehen.
Wenn die Israelis "Nazimethoden" angewandt hätten, dann würde sich heute in Jenin nicht mehr die Frage stellen, ob man eine UN-Kommision dorthin schicken sollte, weil dort keiner überlebt hätte.
Ja, wenn man Nazimethoden so definiert, daß nach deren Anwendung eine komplette Volksgruppe ausgelöscht ist. Ich bezeichne aber auch etwas weniger heftige Methoden als "Nazimethoden".
Wenn nach Deiner Definition Nazi-Methoden das restlose Töten aller Angehöriger eine Gruppe bezeichnet, dann haben nicht mal die Nazis Nazimethoden angewandt. Von daher muß Deine Definition falsch sein.
Ich glaube, das Wort "Nazi" hat in der Sprache längst auch die Funktion einer Art extrem stark negativen Vorsilbe, die bezeichnet, daß man etwas als besonders verdammenswert kennzeichnen will. Ist es nicht so?
Wenn dem so ist, dann ist das eine ziemliche Sprachverwirrung. Es ist einfach ein falsches, und das Ausmaß des Grauens herabsetzendes Verständnis, den Nationalsozialismus einfach als eine besonders grausame Diktatur zu definieren. Wenn dem so wäre, gäbe es wirklich genügend historische Vorläufer. Die technokratische Perfektion der Vernichtung einer Bevölkerungsgruppe aus ideologischen Gründen, wie sie die Nationalsozialisten durchgeführt haben, hat einen anderen Charakter.
Die restlose Ausrottung der Inka war also weniger schlimm?
War nicht die Methodik der Nazis eher eine perverse Übertragung neuer industrieller Methoden auf ein anderes Aufgabengebiet als eine völlig neue Art von Unmenschlichkeit? Vernichtungsfeldzüge gegen andere Gruppen sind doch so alt wie die Menschheit selbst.
Deswegen reagieren auch so viele (mich eingeschlossen) auf so einen Vergleich allergisch, weil er immer die Relativierung des Nationalsozialismus auf die Stufe einer gewöhlichen Diktatur impliziert.
Es ist aber auch merkwürdig, daß der Nationalsozialismus quasi per Naturgesetz als das auf alle Zeiten grausamste Verbrechen definiert wird. Alles andere darf man vergleichen, nur der Nationalsozialismus ist singulär. Wird damit diesem Regime nicht noch posthum eine Art Denkmal gesetzt? Können wird diese Epoche wirklich überwinden und verarbeiten mit dieser merkwürdigen Vereinbarung, daß diese Diktatur, die erste, die mit allerlei Psycho-Methoden und Massenmedien und Propaganda und einer sektenähnlichen Organisation die Menschenmassen unter ihre Kontrolle gebracht hat, unvergleichlich und einmalig sei?
Theoretisch müssten doch nach dieser Maxime alle Historiker, die über den Nationalsozialismus forschen und irgendwelche Erklärungsansätze dafür haben, wie es zur Judenverfolgung kommen konnte, Ketzer sein, weil sie es wagen, doch zu vergleichen und zu relativieren. Warum soll den Forschern etwas erlaubt sein, was der breiten Masse nicht zugestanden wird, nämlich über den Nationalsozialismus kritisch nachzudenken? Und wie soll man über etwas kritisch nachdenken, wenn das Ergebnis des Denkens schon feststeht, das da lautet: "Der Nationalsozialismus war singulär und das allerschlimmste überhaupt."?
Du kannst mir das einfach nicht vermitteln, warum es eine Denk- Vergleich- oder Relativierungsverbot geben sollte, was den Nationalsozialismus betrifft.
Rathenau übrigens hat gesagt: "Denken heisst vergleichen".
Ist es nicht ganz im Gegenteil unsere Pflicht, und das, was wir aus der Vergangenheit gelernt haben sollten, daß man nicht schweigen darf, wenn Unrecht geschieht, unabhängig von der politischen Richtung, der man sich zugehörig fühlt?
Ja, ist es, und es wird auch keiner abgestraft, der sinnvoll Kritik übt. Schließlich hat auch Kofi Annan angesichts des israelischen Vorgehens ab und zu seine diplomatische Zurückhaltung vergessen, und es ruft keiner nach seinem Rücktritt. Er hat aber auch nicht den Israelis Methoden einer politischen Bewegung vorgeworfen, die verantwortlich dafür ist, daß die jüdische Kultur in Mitteleuropa so gut wie ausgelöscht worden ist, sondern einfach und vernünftig gesagt, daß der israelische Staat die UN-Resolutionen einhalten muß.
Tja, man sieht ja, wieviel Kofi Annan damit bewegt.
Die Juden waren seit dem Mittelalter immer der Sündenbock. Mir fällt deswegen in Mitteleuropa auch kein Land ein, in dem es nicht Progrome gegeben hätte, oder wo die Juden einen besonderen Schutz der Bevölkerung erfahren haben, als die Nazis das Land besetzten - es gab überall genügend willige Kollaborateure. Es geht nicht um das statistische Risiko, zu sterben, sondern um das Risiko, als Glaubensgemeinschaft verfolgt zu werden, und wenn man sich die Geschichte seit dem Mittelalter anschaut, ist es durchaus plausibel, anzunehmen, daß die Juden nicht vor systematischer Verfolgung sicher sind, wenn sie in einem Staat leben, der von der westlich-christlichen "Leitkultur" geprägt ist.
Nun, das Risiko als Jude verfolgt zu werden dürfte auch in den USA und Japan äusserst gering sein. Aber darum geht es ja eigentlich nicht - ich wollte nur der Korrektheit wegen darauf hinweisen, daß die Juden in ihrem eigenen Staat offensichtlich eben gerade nicht sicherer sind als anderswo.
Gruesse,
Bio