Hallo Bio,
Die Frage ist aber doch, ob es konsistent ist, wenn man mit dem Argument, daß die Juden mal eine sehr große Bevölkerungsgruppe waren, den heutigen Angehörigen dieser nun leider viel kleineren Gruppe besondere Privilegien, wozu ich auch besonders große Aufmerksamkeit zähle, zugesteht.
Ich finde es irgendwie ein wenig grotesk: Die Nazis haben eine Gruppe von Leuten nach irgendwelchen Kriterien als "Juden" bezeichnet und versucht, diese Gruppe zu vernichten. Heute wird eine Gruppe von Leuten - allerdings nach deren eigenen Kriterien - als "Juden" bezeichnet, und geniesst aufgrund dessen besondere Aufmerksamkeit.
Wenn man nicht mißverstanden werden will, sollte man sich klar ausdrücken. Was willst Du bitte damit sagen? Die "irgendwelchen Kriterien" der Nazis waren ausschließlich ethnische. Und was bitte meinst Du mit dem letzten Satz? Als deutsche Juden bezeichnen sich wohl Überlebende des Holocaust und deren Nachfahren, würde ich mal spontan vermuten. Was meinst Du also mit einer Gruppe von Leuten, die sich nach ihren eigenen Kriterien als Juden bezeichnen? Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung, was Du damit meinen könntest, und würde mich daher um eine Präzisierung freuen. Genau solche verschwurbelten Nicht-Aussagen mit unterschwelligen und nicht benannten Vorwürfen erzeugen die Mißverständnisse, die Du dann der spitzfindigen Boshaftigkeit Deiner Leser anlastest. Ich für meinen Teil beginne doch langsam daran zu zweifeln, ob es sich um Mißverständnisse handelt - zumindest wenn Du mir nicht erklären kannst, worum es sich bei den ominösen "eigenen Kriterien" handelt.
Eine gewisse Analogie ist da erkennbar, aus einer negativen ist quasi eine "positive Diskriminierung" geworden. Aber wie soll die Gesellschaft wieder ganz normal werden, solange "Jude sein" etwas fundamental anderes ist als "Moslem/Christ/Buddhist/Hinduis/Sikh/Atheist sein"?
Weiter unten sprichst Du an, daß das Wort "Jude" alle möglichen Assoziationen auslösen soll - wie soll sich das ändern, solange dieser Unterschied zwischen Jude sein und Nicht-Jude sein besteht, der auch durch den heutigen Umgang des Staates und der Medien mit den Juden eher zementiert als aufgelöst wird?
Der deutsche Staat hat im dritten Reich Juden, Sinti und Roma das Recht zum Leben abgesprochen - nicht aufgrund eines individuellen Vorwurfs, sondern einzig und allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des dritten Reiches hat durchaus die Pflicht, in besonderer Weise deutlich zu machen, daß er eine solche Verfolgung niemals mehr zulassen wird. Als Privatmensch hast Du diese nicht - aber lies mal einige Dinge durch, die Du in diesem Thread geschrieben hast. Mir würde auch einiges von dem, was Du schreibst, bedrohlich vorkommen. Zum Beispiel in diesem Posting im ersten Absatz: "»» Die Frage ist aber doch, ob es konsistent ist, wenn man mit dem Argument, daß die Juden mal eine sehr große Bevölkerungsgruppe waren, den heutigen Angehörigen dieser nun leider viel kleineren Gruppe besondere Privilegien, wozu ich auch besonders große Aufmerksamkeit zähle, zugesteht." Aufmerksamkeit? Der Mord an Millionen von Menschen, beschrieben als eine Bevölkerungsgruppe, die nicht mehr so groß ist, wie sie mal war? Da sind die Dimensionen schon arg verrutscht. Auch in anderen Beiträgen hast Du den Holocaust so locker-flockig mit harmlosen Vokabeln als vorbei und vergessen beschrieben - wenigstens einmal das Kind beim Namen zu nennen, wäre doch schon ein Schritt, daß ein paar weniger Leser Dich mißverstehen.
Nun gut, islamistische Spinner und Rechtsradikale begehen Anschläge auf Juden und jüdische Einrichtungen auch in Deutschland, und darum ist es möglicherweise nötig, daß der Staat die Juden in besonderer Weise schützt, wegen der besonderen Bedrohung, der sie unglücklicherweise auch hierzulande ausgesetzt sind. Es sollte aber versucht werden, zu kommunizieren, daß diese Schutzmassnahmen nötig sind, weil Spinner versuchen, Bürger wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit anzugreifen. Es sollte tunlichst vermieden werden, daß es so 'rüber kommt, als ob die Schutzmassnahmen ergriffen werden, "weil es Juden sind". Das schürt dann möglicherweise Antisemitismus bei Leuten, die schon mehrmals von Unbekannten verprügelt worden sind, ohne daß deswegen die Polizei mit einem Radpanzer vorbeigekommen wäre. (Ja, hört sich platt an, kommt aber sicher vor, daß jemand in seiner Enttäuschung über den Staat, der ihm "weniger hilft", so denkt)
Na sowas. Mit 14 bin ich mal von zwei netten jungen Männern krankenhausreif geschlagen worden, weil ich unrechtmäßig diesselbe Straßenseite zur Fortbewegung genutzt habe. Welchen Grund sollte ich deshalb haben, antisemitisch zu werden? Allgemeines Lebensrisiko nennt sich das, und unterscheidet sich von einer konkreten Bedrohung. Jüdische Einrichtungen werden nun mal häufiger konkret bedroht, beispielsweise durch anonyme Bombendrohungen, als Supermärkte oder Privathäuser. Ich bin mal kurz nach der Verhaftung von Öcalan am türkischen Konsulat in Frankfurt vorbeigekommen: Das wurde von den Besatzungen von fünf Polizeibus_chen hinter zwei Reihen Betonsperren, einer Reihe Container und drei Reihen Stacheldraht gesichert. Auch das war keine türkische Sonderbehandlung, sondern die Antwort auf eine konkrete Bedrohung.
Ich hoffe, Du erbarmst Dich, meine letzen Beispiele und Aussagen ein wenig wohlwollend zu interpretieren und den Sinn der Sätze zu suchen, ohne angestrengt irgendeine rechte Denke bei mir konstatieren zu wollen.
Wie gesagt: Wenn Du nicht mißverstanden werden willst, darfst Du nicht darauf hoffen, das Deine Leser Dich richtig interpretieren, sondern Du mußt Dich klar ausdrücken.
Ich weiss im übrigen nicht, was Karsli im O-Ton gesagt hat, als er das Wort "Nazimethoden" benutzt hat - aber er wird doch wohl nicht dazu aufgerufen haben, Juden zu töten, Synagogen zu sprengen oder Hochhäuser zu zerbomben? Hört sich in Deinem Satz fast so an.
http://www.google.de/search?q=karsli+nazi-methoden&ie=UTF8&oe=UTF8&hl=de&meta=
Wie ich schon sagte, ich kann in Karslis Worten so recht keine Verschwörungstheorie entdecken. Mit viel bösem Willen könnte ich eine hineininterpretieren, aber ich denke nicht, daß Karsli glaubt, daß eine Weltverschwörung stattfindet. Zwischen einer Weltverschwörung und Karslis Meinung (meiner Auslegung nach), daß die Medien der Welt *eher* pro-israelisch als pro-palästinensisch sind, liegen doch Welten.
Damit es auch nochmal jemand anderes gesagt hat:
"Man muß allerdings zugestehen, daß der Einfluß der zionistischen Lobby auch sehr groß ist: Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit "klein" kriegen. Denken Sie nur an Präsident Clinton und die Monika-Lewinsky-Affäre." Wenn Du hier keinen Zusammenhang zwischen der "zionistischen Lobby" und der Monica-Lewinsky-Affäre siehst, dann _willst_ Du ihn nicht sehen. Alle interpretieren Deiner Meinung nach unsachgemäß an Deinen Aussagen herum, die ja auch mal etwas verschwommen formuliert sein dürfen. Aber bei der Interpretation von Karslis Ausagen bist Du wirklich kreativ.
Nun gut, die Medien sind mittlerweile ziemlich kritisch und auch die Israelis kommen darin nicht immer nur gut weg, aber diese Entwicklung ist, habe ich das Gefühl, auch wenn das mich trügen mag, weil ich so alt noch nicht bin, doch eher neu.
Jedenfalls glaube ich mich zu erinnern, es habe, als die französischen Medien in ungewöhnlich deutlicher Weise die Politik Scharons kritisiert haben Anfang des Jahres, geheissen, diese "Härte" gegenüber Israel in der Berichterstattung sei eine ganz neue Entwicklung - wenn das stimmte, würde es doch heissen, die französischen Medien seien zuvor weniger kritisch mit Israels Politik umgegangen, und das würde heissen, daß die französischen Medien zuvor latent pro-israelisch berichtet haben müssten.
Deine immer wiederkehrende Kritik an den Medien kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ich weiß nicht, was Du außer der "Jungen Freiheit" noch so liest, aber die von mir gelesenen Zeitungen und Zeitschriften sind keineswegs einseitig. Und das obige Beispiel ist auch an den Haaren herbeigezogen: Die deutschen Medien haben beispielsweise auch mit ungewohnter Härte den Bruch des Kyoto-Abkommens oder staatliche Ehrung von Kriegsverbrechern in Japan kritisiert - beides waren neue Entwicklungen in der USA- und Japanberichterstattung. Eine neue Entwicklung hat meistens eine Ursache, siehe oben. Und daß es für die Entwicklung der Israel-Berichterstattung einen Anlaß gegeben hat, hast Du ja erkannt: Die Politik Sharons. Etwas Israel-spezifisches kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Wenn meine Argumentation in der Tat nahe an der Neonazi-Rethorik liegen sollte, dann ist mir das natürlich unangenehm. Ich wage aber zu behaupten, daß weniger das, was ich gesagt habe, dazu geführt hat, das es sich wie Neonazi-Rethorik anhörte, als das, was Du gedacht hast, was ich hätte sagen wollen.
In der Tat ist es fast unmöglich, in irgendeiner Weise etwas kritisches im Themenfeld Juden/Israel zu sagen, ohne in den Verdacht zu geraten, etwas neo-nazi-mässiges gesagt zu haben. Ich habe da einige Erfahrungen drin - Du solltest es bei Bedarf selbst einmal ausprobieren. Poste etwas passendes, was Du für völlig legitim hälst, und hör' Dir an, was zurückkommt.
Du hast an anderer Stelle den Thread http://forum.de.selfhtml.org/archiv/2000_3/t17683.htm#a89549 verlinkt. Dort hat Stefan Münz Kritik an einer Holocaust-Website geübt, und zwar nicht technische, sondern inhaltliche Kritik. Trotzdem hat ihm niemand vorgeworfen, "etwas neo-nazi-mäßiges gesagt zu haben." Vielleicht macht er ja irgendetwas anders als Du? Schau Dir nochmal an, was Du dort als erstes gepostet hast: Was soll man als Leser davon halten? Wenn man seine Kritik sachlich und ohne verschwurbeltes Tatü-Tata-Töfftöff-gleich-kommt-der-gehirntote-mob äußert, wird man meistens auch eine sachliche Antwort bekommen.
Schöne Grüße,
CG