Bio: Reply Teil B

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Hi Bio,

vielleicht diskutierst Du doch zu locker über die menschliche Katastrophe hinweg, die die Judenvernichtung in Nazideutschland darstellt und auch über die Folgen für die deutsche Geschichte. Das waren doch ganz konkrete Ereignisse im Leben unserer Großeltern: Da wurden Mitschüler gedemütigt, mussten plötzlich einen Judenstern tragen, schließlich die Schule verlassen, wurden dann ermordet. Nicht einige, tausende. In jeder Schule, in jedem Verein, in jeder Straße. Die Geschäfte wurden zerstört und enteignet, plötzlich waren da neue Besitzer, natürlich meist Parteigänger der Nazis, keine Überraschung. "Jüdischen" Nachbarn, Kollegen aus der Firma, hochdekorierten Soldaten aus dem ersten Weltkrieg, allen wurde zunächst das Selbstbewußtsein, dann alle Rechte, schließlich der Besitz genommen. Am Ende wurden sie deportiert und ermordet. Alte Freunde, Kollegen, Mitschüler. Und niemand wagte, etwas zu sagen. Wie tief muss die Scham über so etwas sitzen, wie tief das Ohnmachtsgefühl, die Verdrängung der eigenen Feigheit.

Nun, so gesehen bin ich evtl. nicht repräsentativ. Meine Großeltern waren anscheinend alle "100% volksdeutsch". Mein einer Großvater war Jurist einer Zeche und darum unabkömmlich, der andere war Arzt in beiden Weltkriegen. Der Jurist war nie in einer Partei, der Arzt war seit 1933 in der NSDAP. Ich glaube, daß er als Feldarzt in Lazaretten gearbeitet hat. Ich habe ihn nie kennengelernt weil er kurz nach meiner Geburt gestorben ist. Der Jurist ist auch gestorben, als ich 12 war - keine Chance also, mit ihm über die Nazizeit zu sprechen.
Und wenn irgendwelche jüdischen Bekannten meiner Großeltern totgeschwiegen werden - dann funktioniert das erschreckend effizient.
Die Nazizeit ist für mich ungefähr so irreal, wie die Kaiserzeit. Es gibt Filme und Bilder aus der Zeit, aber sie bleibt einem fremd.

Die Frage ist aber doch, ob es konsistent ist, wenn man mit dem Argument, daß die Juden mal eine sehr große Bevölkerungsgruppe waren, den heutigen Angehörigen dieser nun leider viel kleineren Gruppe besondere Privilegien, wozu ich auch besonders große Aufmerksamkeit zähle, zugesteht.
Ich finde es irgendwie ein wenig grotesk: Die Nazis haben eine Gruppe von Leuten nach irgendwelchen Kriterien als "Juden" bezeichnet und versucht, diese Gruppe zu vernichten. Heute wird eine Gruppe von Leuten - allerdings nach deren eigenen Kriterien - als "Juden" bezeichnet, und geniesst aufgrund dessen besondere Aufmerksamkeit.

Ja, die Kriterien. Die Absurdität des Rassismus dokumentiert sich auch darin. Da gibt es eine große, gut integrierte Bevölkerungsgruppe, oft mit nichtjüdischen Deutschen verwandt, oft weit entfernt von jüdischen Traditionen. Was sind das für dunkle Punkte in der Geschichte vieler Familien, da geschwiegen oder mitgemacht zu haben, wenn plötzlich Familienmitglieder, Kinder, vielleicht die eigene Frau einer zum Tode verurteilten Gruppe angehörten. Bei der Besitzverteilung mitgemacht zu haben. Als Soldat irgendwo in Osteuropa ganz konkret wehrlose Menschen exekutiert zu haben, nur weil sie einer bestimmten Bevölkerungsgruppe angehörten.

Nun sollte man meinen, inzwischen wäre das nur noch dunkle Geschichte, längst vergessene Verfehlung einer untergehenden Generation. Aber sieh in den Kosovo, nach Bosnien, wie nah das immer noch ist. Und ich behaupte: Auch für unsere Köpfe, für unsere Ängst und Gefühle hat so etwas immer noch Folgen, ich hoffe, es kommt Dir nicht zu konstruiert vor. Aber eine derartige kollektive Erfahrung von Angst, Hass, Entmenschlichung, Verdrängung, die verblasst nicht so schnell, zieht Spuren durch die Geschichte.

Vielleicht ist es deshalb doch angemessen, klar und deutlich vor der Weltöffentlichkeit zu sagen und zu zeigen, dass sich das moderne, demokratische Deutschland von dieser Geschichte distanziert und dass deshalb jüdische Mitbürger unseren besonderen Schutz geniessen.

Da muss ich zustimmen.

Aber es gibt eine Strategie im Blödblöd-Journalismus, alles zu simplifizieren, indem man es auf die Kneipen- oder Familienebene bringt. Kennzeichen: Alle werden mit Vor- oder Spitznamen angeredet (Schumi, Bill, Monica, die Amis, der Russe, ...). Ich könnte einiges über diese Erfolgsstrategie und ihre Verblödungseffekte schreiben, aber das wäre ein Thema für sich.
Hm. Mag sein. Ein Kumpel von mir studiert Publizistik, der hat mir alle möglichen Dinge erzählt, die man durch geschickte psychologische Manipulation erreichen kann. Gibt es über diese "Verblödungseffekte" nicht möglicherweise schon Studien? Würde mich interessieren.

Es gibt einen Germanistikprofessor namens Link, der einiges dazu geschrieben hat. Wie wirkungsmächtig die ganze Strategie ist, kannst Du verstehen, wenn Du darauf achtest, wie bestimmte Medienereignisse z.B. in Kneipengesprächen unmittelbar auf die eigene Realität bezogen werden. So wird alles zum Symbol für alles. Der Fußballclub, die Mannschaft, die Familie, Effenberg und Frau Strunz, das Verhalten am Arbeitsplatz, Sadam Hussein, der arabische Kollege in der Firma, Schumi, das Erfolgsteam, das eigene Auto, alles verweist auf alles und wird in einem einzigen Sermon verwurstet, meist nach Vorgaben der Bildzeitung und bestimmter Privatsender, die hier das Denken bestimmen. Nebeneffekt: Ich kann über Fußball schreiben und dabei ganz unschuldig und wirkungsmächtig eine ganze politische Weltanschauung vermitteln.

Hmmmm... ich halte mich anscheinend zu selten in den Kneipen auf, in denen "das Volk" die Inhalte der Bildzeitung reproduziert.

Ich kenne die BRD nur als einen der vorbildlichsten, demokratischsten und stabilsten Staaten der Welt.
Daher, und weil ich keinen einzigen antiemitisch eingestellten Menschen kenne, scheint mir das mindestens halbjährliche Warnen vor wachsendem Antisemitismus ziemlich unnötig.

Ich hoffe sehr, Du hast Recht mit dieser These. Aber ich bin misstrauisch. Denk doch mal an die Ereignisse um die Asylbewerberheime, an die Brandanschläge und die Reaktion einiger Menschen. Da ist schon noch eine ganze Menge an Missachtung für andere, für wirklich oder vermeintlich Fremde, für Leute, die sich anders kleiden, anders reden, anders denken in unserem schönen Deutschland. Wir leben in einer globalisierten Welt mit massiven Umstrukturierungen der Wirtschaft, mit bitteren Folgen für viele, vor allem sozial Schwache. Genau auf den Ängsten, die hier entstehen, auf den Lebenskrisen, auf sozialer Not und Desorientierung kochen die "Rechtspopulisten" ihr Süppchen, in der ganzen Welt, nicht nur in Deutschland.

Wenn ein Bauarbeiter arbeitslos ist, weil Arbeiter aus Osteuropa billiger sind - was soll die Politik dann machen?

Die Erklärung der Rechtspopulisten "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" ist viel "schöner" als die Erklärung einer imaginären bürgerlichen Partei: "Wegen unseres kaputten Rentensystems können wir die Lohnnebenkosten nicht senken, und wegen der Gewerkschaften können wir auch keine so geringen Löhne ansetzen, die nötig wären, damit ihr wieder konkurrenzfähig wärt. Schade eigentlich. Umschulung ist auch sinnlos, denn ihr seid zu alt, und wegen der von uns festgesetzten höheren Löhne für Ältere (gibt's jedenfalls in manchen Berufen/Tarifen), rechnet ihr Euch leider nicht. Also freut Euch über die hohe Sozialhilfe.".

Da kann man einfach nichts machen. Je grösser die Verfehlungen der Politik, desto grösser die Klientel der Extremisten jeglicher Couleur.
Nur eine bessere Politik bzw. neue Jobs auch im Niedriglohn-/Geringqualifizierten-Sektor könnten da was reissen.

Natürlich gibt es hier besondere Sensibilitäten. Ganz interessant übrigens, dass man hier mit rechts und links nicht allzu weit kommt. Die radikale Linke der Studentenbewegung z.B. war pro Palästina und gegen Israel. Die Rechte eher antipalästinensisch, vor allem nach den Attentaten in München und Mogadischu. Auch Axel Springer war mit seiner Bildzeitung immer pro Israel. Es macht also Sinn, über verdeckten Antisemitismus, überhaupt über Rassismus in unserer Gesellschaft ganz unabhängig von politischen Parteien nachzudenken, wenn man die offen antisemitischen Rechtsradikalen ausnimmt.

Tja, das hatte ich nicht mitbekommen mit der Linken und ihrer Zuneigung zu den Palästinensern. Grotesk grotesk. Naja, wenn man das "Spektrum" der Parteien nicht als Halbkreis sondern als Kreis sieht, ist es klar, daß es von ganz links nach ganz rechts nicht sehr weit ist. Irgend so ein ehemaliger Weggefährte von Fischer ist doch jetzt auch bei der NPD oder so.

Aber die Linke ist, was die radikale Linke betrifft, sowieso vollkommen wahnsinnig. Ich habe einmal im Internet einen Artikel gelesen, in dem beschrieben wurde, wie eine Frau ihren Freund geschlagen hat, weil er morgens neben ihr mit einer Erektion aufgewacht ist und sie aus Versehen damit berührt hat (was ganz normal ist, für die, die's nicht wussten), weil er damit nämlich eine gewalttätige patriarchalische Unterdrückung der Frau ausgedrückt haben soll (oder so - totaler Quatsch halt - wie soll man sowas im Schlaf ausdrücken können?). Scheint typisch für die extreme Linke zu sein, daß sich eigentlich hochintelligente Leute ein ganz eigenes Gedankengebäude errichten und sich darin immer weiter von der Realität entfernen, bis sie schliesslich glauben, sie könnten durch Erschiessen des Arbeitgeberpräsidenten den Staat umstürzen oder so...

Gruesse,

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