molily: Was ist im Internet alles Tabu ?

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Hallo, Michael,

Keine Zielgruppe definiert sich durch die technischen Zugangsbedingungen. Eine Verbindung zwischen einem bestimmten Publikum und einer bestimmten Technik anzunehmen, ist anfangs reine Mutmaßung, welche nur dadurch wahr wird, das die resultierenden Gestaltungsentscheidungen dermaßen selektieren, dass letztlich nur die vorher rein theoretische Zielgruppe mit homogenen Zugangssystemen auf die Seite zugreifen kann. Nach dieser Maxime »zielgruppengerechte« Seiten zu schreiben, ist eine Spirale bzw. ein Kreislauf, der sich selbst legitimiert. In dieser Weise auf die ideale (gedanklich konstruierte) Zielgruppe zugeschnittene Seiten reagieren nicht auf die Benutzergruppe, sondern sie passen die Benutzergruppe an sich an.

Einspruch! Frag mal die Zielgruppe der Sehbehinderten mit Braille-Reader oder Sprachgenerator, welcher die Texte vorliest, was sie von Internetseiten halten, in denen die Texte nur aus Bildern bestehen ([...]). Und auf Seiten für Sehbehinderte kannst Du als Sehender ja uneingeschränkt zugreifen, obwohl Du ja nicht zur definierten Zielgruppe gehörst.

Dem stimme ich ja zu, was hat das mit dem zitierten Text zu tun? Ich wollte sagen, dass »Optimierungen« mit Blick auf auf eine (in technischer Hinsicht) letztlich willkürlich definierte Zielgruppe Quatsch sind, wenn sie Besucher mit abweichenden Voraussetzungen, welche angeblich nicht dieser Zielgruppe angehören, ausschließen. Das bedeutet, dass Aussagen wie »die Seite ist ja sowieso für $ZIELGRUPPE gemacht, da brauchen wir auf $ZUGANGSTECHNIK keine Rücksicht zu nehmen« problematisch sind.

Ich hatte nicht vor, zu bestreiten, dass beispielsweise Seiten speziell für Sehbehinderte - falls es solche gibt - auch für Sehende zugänglich sein sollten, genauso umgekehrt.
Natürlich muss man sich auch technisch auf bestimmte Weise an der Zielgruppe orientieren (bzw. ursprünglich ist es der Inhalt, welcher bestimmend wirkt), aber dieses »Zuschneiden« sollte möglichst nicht ausschließend bzw. diskriminierend wirken. Ich kann es nicht nachvollziehen, eine unzugängliche Seite beispielsweise für Onlinespieler damit zu rechtfertigen, dass alle relevanten Besucher »sowieso« eine Auflösung von 1280×1024, True Color, Vollbildfenster, Flash und JavaScript aktiviert haben. Denn wenn solche Zusammenhänge angenommen werden, führt es in den meisten Fällen nur dazu, das die Seite bei anderen Zugangsbedingungen unbenutzbar wird. Damit schließt sich der Kreis.

Oder würdest Du eine Site für HTML-Entwickler etwa mit 100% Flash machen?

Nein, wie kommst du darauf, dass ich es würde? Eine Seite über Flash-Animationsfilme würde ich auch soweit es geht mit den jeweils kompatibelsten Techniken umsetzen, sodass die unvermeidbaren Barrieren letztlich nur punktuell sind.

Dass Flash im Beispielfall unpassend ist, hat m.E. nur zweitrangig damit zu tun, dass die Zielgruppe kein Flash zur Verfügung hat - ich sehe keinen Zusammenhang.

Oder eine Lynx-Support-Site mittels Flash, JavaApplets und Bildern?

Eine Seite mit Flash, Java-Applets und Bildern kann ohne weiteres so gestaltet werden, dass sie im Lynx voll funktionsfähig ist. Entscheidend ist, dass für eine solche Seite aufgrund der Beschaffenheit und der Funktion des Inhalts Flash kein praktikables Mittel ist - unabhängig davon, welche Techniken bei der Benutzerschaft vorherrschen bzw. vorzuherrschen scheinen. Eben nicht vorrangig »welche technische Umsetzung passt zu meiner Zielgruppe«, sondern »welche technische Umsetzung passt zu meinen Inhalten und dem Anspruch der Seite«.
Nur weil ein Großteil der Nutzer wahrscheinlich mit Lynx die Seite besucht, würde ich andere Browser nicht vernachlässigen, indem beispielsweise kein Stylesheet angeboten wird beziehungsweise auf alles verzichtet wird, was Lynx nicht tangiert.

Oder auf einer Mozilla-Support-Seite für IE-only schreiben?

Nein, aber auch nicht »für Mozilla optimiert«, das wollte ich ausdrücken.

Grüße,
Mathias

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»Emphasize structure through presentation« http://www.w3.org/TR/WCAG20/#structure-emphasis