Martin Rozmus: Kritik am "Aufsatz" zum Thema Barrierefreiheit

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hi,

Hallo,

[...]

Und was ich den vernünftigen Menschen zutraue, ist, dass sie dazu fähig sind, solche kleinen Ablenkungen zu ignorieren.

Auch der ein oder andere, durchaus als "vernunftbegabt" zu bezeichende Mann dürfte ab und zu mal den optischen Reizen einer Dame folgen, auch in Situationen, wo dies nach allgemeinem Verständnis eher nicht angebracht wäre. (Andersherum natürlich nicht minder, meine Damen.)
Die Reaktion auf optische Reize steckt in unseren Instinkten viel tiefer drin, als dass sie sich beliebig durch den Einsatz von "Vernunft" steuern liessen.
Gut, das gilt natürlich in erster Linie für seit Urzeiten als Gefahrensignal (oder Fortpflanzungs-) bekannten Reizen - bei optischen Reizen wie der Unterstreichung als Hinweis auf einen Link im www kann man natürlich weniger von einer instinktbedingten Reaktion darauf sprechen.
Hier handelt es sich dann eher um eine erlernte Reaktion - aber auch diese wieder "loszuwerden", würde mir als Nutzer deiner Seite einen zusätzlichen Lernaufwand abverlangen.

Ergo sind Verweise störend. Man wird dazu verleitet, jedem erdenklichen Verweis zu folgen. Und trotzdem geschieht es nicht, weil du dazu im Stande bist, zu entscheiden, ob du einem Verweis folgst oder nicht. Analog hierzu hat es sich "eingebürgert", dass Abkürzungen gepunktet unterstichen werden. Und genau so wie es bei den Verweisen ist, steht dir frei, die Abkürzung zu ignorieren. Du mußt nicht wirklich jede Abkürzung fokusieren.

Im Gegensatz dazu traue ich grundsätzlich Menschen nicht zu, die mit einer trivialen Abkürzung nichts anfangen können, dass sie dazu in der Lage sind, die Bedeutung einer Abkürzung zu recherchieren.

Ein halbwegs zielführende Recherche-Strategie halte ich für ein Werkzeug, dass sich jeder www-Nutzer früher oder später zulegen sollte/muss.

Was ich damit meine, ist, dass man natürlich etwas vom Lesekomfort als "vernünftiger Mensch" abgeben muss, wenn jede Abkürzung, sei sie auch so geläufig, ausgezeichnet ist. Aber ist nicht gerade die Idee der Barrierefreiheit, nicht nur von dem Standpunkt des "vernünftigen Menschen" auszugehen?

Auch wenn die "Verhältnismäßigkeit der Mittel" ein abgenutzter Begriff ist, sollte man sie auch hier berücksichtigen.
Es erscheint mir nicht sinnvoll, für jede nur erdenkliche "Barriere", vor der ein einzelner Nutzer stehen könnte, "Abhilfen" einzubauen, die dann den Großteil der Nutzer vor neue Stellen.

Jede Stufe durch einen "behindertenfreundlichen" Aufzug zu _ersetzen_ [1], hätte für die Mehrheit nur Nachteile - Kapazität und Geschwindigkeit des Aufzuges sind begrenzt, ein Stau wäre an Stellen mit hohem Verkehrsaufkommen unvermeidlich die Folge.
[1] Ja, in Bezug auf das Unterstreichen und Vertiteln von Abkürzungen ist das ein _Ersatz_, denn an diesem optischen Aufhänger komme ich auch als "Wissender" nicht vorbei, ohne dass er einen Teil meiner Wahrnehmungskapazität abzwackt für etwas, dass ich nicht brauche.

Nein, es ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung. Ersatz wäre es, wenn ich jede Abkürzung ausgeschrieben hätte. (Wie es auch an manchen Stellen hier vorgeschlagen wurde.)

In Bezug auf einen "Nicht-Muttersprachler" magst du auch Recht haben. Er kennt nicht alle Wörter. Allerdings hat er die Möglichkeit, sie nachzuschlagen. Bei Abkürzungen, die zwar geläufig sind, aber nicht weiter erklärt sind, könnte ihm die Möglichkeit aber verwehrt bleiben.

Warum?
Ja, es könnte sich schwieriger gestalten, "z.B." oder "etc." per google nachzuschlagen - weil sie auf unzähligen Seiten benutzt werden.
In so einem Falle _ausschließlich_ "z.B." als Suchbegriff zu verwenden, wäre aber auch ziemlich naiv.

Er kann aber im Wörterbuch nachschlagen, was "Beispiel" respektive "zum Beispiel" heißt.

Da wäre wir aber wieder bei oben erwähntem: einer brauchbaren Suchstrategie, die sich der denkende Mensch beizeiten Mal aneignen/antrainieren sollte.
Ich kann und will ihm nicht alle Verständnisarbeit im Voraus abnehmen.

Dadurch grenzt du ihn aus.

(Siehe oben.) Ich denke nicht, dass der großen Minderheit der *Zugang zur Information* dadurch verwehrt bleibt. Im Umkehrschluß kann das Auslassen von Erläuterung einer Abkürzung dazu führen, dass eine Minderheit, sei sie auch so gering, _nicht_ die benötigten Informationen erfassen kann.

Nimm mein Beispiel von oben:

Gerne!

Wenn sich jeder, der auf dem Weg zur Arbeit die paar Treppenstufen heraufhastet, zunächst in den Behinderten-Aufzug setzen müsste (nach dem Warten auf dessen Freiwerden), um sich dann anderthalb Meter hochliften zu lassen - das wäre eine massive Einschränkung der "Nutzbarkeit" für den "Normalnutzer".

Ich möchte in den ersten Stock eines mir unbekannten Gebäudes gelangen. Ich betrete die Empfangshalle und schaue mich um. Vom Weiten sehe ich eine Treppe. Zielstrebig begebe ich mich in die Richtung. Plötzlich wird meine Aufmerksamkeit durch einen behindertengerechten Aufzug abgelenkt. Ich denke kurz nach, ob ich lieber den Aufzug benutzen soll und komme zu dem Entschluß, dass ich per Treppe schneller zu meinem Ziel gelangen werde. Ich lasse den Aufzug links liegen und benutze die Treppe.

Beim nächsten Mal bin ich schon so weit, dass ich den Aufzug entweder nur mit einem Blick würdige oder gänzlich ignorieren. Ich würde aber niemals auf die Idee kommen, mich bei dem Immobilienbesitzer zu beschweren, dass dieser Aufzug bitte entfernt werden soll, weil er von mir auf dem Weg zur Treppe so viel Aufmerksamkeit abverlangt. Die paar Besucher, die auf diesen Aufzug angewiesen sind, sollen zusehen, wie sie die Treppe hochkommen. Und außerdem, was haben Menschen, die nicht eine Treppe hochkommen, überhaupt in diesem Gebäude verloren?! Ist doch gar nicht die Zielgruppe!

Und weiter frage ich mich, was man unter "geläufigen Abkürzungen" versteht? Wer legt fest, was geläufige Abkürzungen sind? Ich denke, dass für einen Akademiker mehr Abkürzungen geläufig sind als für jemanden mit einem Sonderschul-Abschluß hat.

Deine Abhandlung zu einem akademischen Thema wird vermutlich auch weniger interessant sein für den Sonderschüler.
Falls sie ihn jedoch wirklich interessiert, erwarte ich von ihm auch, dass er den Mehraufwand zu betreiben bereit ist, der ihn dem Verständnis näherbringt.

Du errichtes eine Barriere.

gruß,
wahsaga

MfG Martin