Hi Swen,
Beide Versionen sind richtig.
Echt? Das ist dann aber keine richtige Regel sondern eine von diesen typischen Duden-Ergänzungen, oder?
Der Duden bezieht sich recht sorgfältig darauf, ob kompetente Sprecher die sprachlichen Formen benutzen. Dabei gibt es Bezüge auf unterschiedliche Textsorten,
Weil Thomas Mann das auch so gemacht hat? Weil der Setzer der FAZ das auch so sieht? Das wären aus meiner Sicht keine starken Argumente für eine weitere "Ausnahme von der Ausnahme von der Regel"
Du bewegst Dich hier zwischen zwei Grundprinzipien:
1. Eine Grammatik beschreibt den realen Formenbestand der Sprache. Dabei werden neue Entwicklungen stetig eingearbeitet. Man sieht dsie Sprache aus dieser Perspektive als immer neuen Versuch, mit sprachlichen Mitteln Realität zu beschreiben, Gefühle auszudrücken usw., nicht als statisches Regelgerüst, das man präskriptiv festlegen und dann auch normalisieren könnte. Kriterium für Richtigkeit ist der Sprachgebrauch kompetenter Sprecher.
Man könnte in diesem Sinne hingehen, und versuchen, mit empirischen Methoden den Bedeutungsumfang eines Wortes annähernd zu bestimmten, etwa indem man mit einem Morphing-Programm Übergangsformen zwischen einer Tasse, einem Becher und einer Vase erzeugt und diese in loser Folge kompetenten Sprechern vorlegt, die jedes Bild einem der Begriffe zuordnen können. Dabei erzeugt man, ähnlich wie bei der Bestimmung von Bahnen der Elektronen, keine klaren Grenzen, sondern Wolken, die zum Ausdruck bringen, welche Grenzen einen Begriff empirisch in etwa auszeichnen. Ähnliches kann man auch in Bezug auf die Korrektheit bestimmter Wendungen durchführen.
Natürlich kann man solche aufwändigen Verfahren nicht immer anwenden, man behilft sich dann mit der empirischen Untersuchung bestimmter Druckerzeugnisse, des Internets, der Literatur usw. Ein anderes Verfahren ist nicht denkbar.
Der Gegensatz dazu ist die präskriptive Verabschiedung von Regeln und Normen, etwa durch eine Akademie wissenschaftlich reputierter Fachleute oder durch eine Kultusministerkonferenz, die sich politisch legitimiert fühlt. Dieser Ansatz erlaubt auch eine Normalisierung der Sprache auf weniger Regeln oder das Verbot bestimmter Schreibweisen usw., auch wenn diese in der gesprochenen und geschriebenen Sprache vorkommmen.
Man denke nur an die armen Leute, die unsere Sprache lernen sollen ... ach, ich wusste schon immer, warum Deutschlehrer so häufig frühpensioniert werden und ich nie einer werden wollte ... :-)
Eigentlich ein lustiges Kriterium für die Regelwerke unserer Sprache, sie so zu vereinfachen, dass ein Dummbatz sie einfacher lernen kann. Man könnte eine starke Vereinfachung erreichen, indem per Dekret die Artikel, die Flektion der Verben und die Deklination abschaffen würde. Außerdem könnte man Sätze als korrekt gelten lassen, die keine Verben enthalten. Ein Beispiel:
"Frau Eisdiele. Ich: Kind - Babyphon!!!
Alte Frau helfen! Sie aber immer wieder Eisdiele!
Sie mir Leben gemacht Hölle, ich ihr Leben auch machen Hölle!"
Ich bin Deiner Frage nach der Gültigkeit der Ausnahme in verschiedenen Grammatiken nachgegangen und tatsächlich geben einige Werke an, die gemischte Form gelte in der Gegenwartssprache nicht mehr, z.B Ulrich Engel, Deutsche Grammatik.
Aus der Deutschlehrersicht ist die Adjektivdeklination natürlich ein interessantes Problem. Natürlich ist hier eine didaktische Reduktion erforderlich, vor allem im Bereich "Deutsch als Fremd-/Zweitsprache". Ich habe dazu mal vor Jahren, angeregt durch Normaliserungsverfahren im Datenbankbereich, die ich da erlernen musste, versucht die Regeln so zu reduzieren, dass man von den schwer auswändig zu lernenden Tabellen und Wortlisten wegkommt. Ich habe am Ende das Phänomen mit einigen wenigen Regeln zu 99%erfassen können:
Adjektive mit Artikel
1. -en, der Lottotipp
im gesamte Plural, im Singular bei Genitiv, Dativ und Akkusativ maskulin
2. -e, typisch weiblich
Nominativ und Akkusativ feminin
3. ein "r" Nominativ maskulin
de_r_ schöne Mann, ein schöne_r_ Mann
4. ein "s" Nominativ und Akkusativ Neutrum
da_s_ kluge Kind, ein kluge_s_ Kind
Adjektive ohne Artikel
5. die gleichen Endungen wie der bestimmte Artikel
6. Genitiv maskulinum und Neutrum -> "en"
Dazu kommen später in einem Spiralcurriculum einige Regeln, etwa welche Wörtwer als Artikel gelten können (etwa "alle"), und welche nicht (Zahlen, "viele").
Je nach Intelligenz dauert es bis zur sicheren Beherrschung etwa drei bis fünf Tage in einem Intensivkurs. Meine Methode ist dabei die, aufgrund der Regeln korrekte Beispiele zu generieren, und dann zu massiven Einschleifübungen überzugehen.
All das, was ich hier ausgeführt habe, bewegt sich natürlich nur an der Oberfläche, eine wirklich exakte wissenschaftliche Bestimmung ist aufgrund der Vagheit der Umgangssprache äußerst schwierig. Es ist etwa schon schwierig zu sagen, was überhaupt ein Adjektiv ist *g* Diese Komplikation gilt natürlich nicht nur für das Deutsche.
Viele Grüße
Mathias Bigge