Hallo Mathias!
Es liegt m.E. an der Grundproblematik, dass Kommunikation schwer in das Gesellschaftsbild einer Ansammlung relativ autonomer, eigenständiger Systeme einzubauen ist. Irgendwie ist der Bereich systemübergreifend und greift doch massiv in die einzelnen Systeme ein.
Üblicherweise wird Kommunikation als ein universell einsetzbares Mittel für beliebige Zwecke gesehen und wird als kommunikatives Handeln begriffen. Gegen beide Ansichten wendet sich Luhmann aus einleuchtenden, aber nicht einfach nachvollziehbaren Gründen. Handeln kann Kommunikation für Luhmann nicht sein, weil nur Subjekte handeln können, nicht aber die Gesellschaft, die für Luhmann wiederum nicht aus einer Summen von Subjekten besteht, schon gar nicht aus deren Handlungen. Die Frage, wozu kommuniziert wird, stellt sich für Luhmann eigentlich überhaupt nicht, jedenfalls nicht in einer Mittel-Zweck-Relation. Kommunikation ist für Luhmann eine Funktion, die Funktion, die Gesellschaft möglich macht. Er hat deshalb auch gar kein Problem mit der Tautologie, dass nur die Kommunikation kommunizieren könne.
Der Schritt, nun auch Kommunikation als eigenes System zu begreifen, führt Luhmann näher an Diskurstheorien im Anschluss an Foucault heran.
Da bin ich skeptisch. Der Positivismusstreit mit der Frankfurter Schule und Habermas im Speziellen ist mir noch zu gut in Erinnerung.
Ich habe neulich eine Kritik an Luhmann aus diskurstheoretischer Perspektive gelesen. Wenn es Dich interessiert, fasse ich es hier noch einmal kurz zusammen.
Ja, interessiert mich selbstverständlich.
Der Preis für Luhmanns Verselbständigung des Systems Kommunikation ist m.E. hoch: Zunächst koppelt er die Kommunikation radikal von den Kommunizierenden ab, was auch schon Linguisten vor ihm in heuristischer Absicht versucht haben.
Von dieser Annahme ging ich zunächst auch aus, als ich mich fragte, wer oder was denn eigentlich kommuniziere, wenn nicht der Mensch. Inzwischen ist mir aber klar geworden, dass die Kommunizierenden keineswegs von der Kommunikation abgekoppelt werden. (Hast du eigentlich mit Absicht "koppelt" geschrieben? Sonst hat dich dein Unterbewusstsein vorausschauend zum treffenden Wort geführt. ;-)). Das soziale System, das kommuniziert, bleibt nämlich in struktureller Kopplung mit den psychischen Systemen, die die Kommunikation veranlasst haben, strukturell gekoppelt. Was Luhmann unter psychischen Systemen versteht, erklärt er selbst nur mangelhaft. Er greift dabei lediglich auf Husserls Subjektivismus-Erklärung zurück. Luhmanns Gleichsetzung von psychischem System und Bewusstsein ist aber unhaltbar, dagegen spricht einfach die Neurobiologie.
Er bleibt aber dabei im schlechten Sinne abstrakt. Die Zukunft wird zeigen, ob mit dem Ansatz konkrete Forschung zu machen ist.
Vermutlich sind solche Lehrstühle in der deutschen Forschungslandschaft gar nicht mehr möglich, was allerdings schade ist. Praktisch wurde Luhmann aber in gewaltigem Umfange von den Systemikern vereinnahmt. (Erspare mir bitte zu erklären, was für eine Art Sekte das ist ;-)). Und natürlich im Management-Training. Aber da wirfst du mir ja wieder vor, das sei ekelhaft.
Die Frage ist, ob diskursive Systeme überhaupt binär funktionieren, selbst wenn sie binär darstellbar sind. Aus der Sicht der Diskurstheorie laufen viele gesellschaftsrelevante Diskurse, etwa um Normen, nicht binär ab (normal-nicht normal), sondern entwickeln eine Art Gausscher Normalverteilung, die klare Grenzen zwischen Normalität und Abweichung schwierig oder zum Gegenstand von Vereinabrungen machen.
Sehe ich ambivalent. Turing-Maschine und Schachcomputer weisen eher darauf hin, dass alles binär darstellbar ist. Auch lernende Roboter führen da zu ganz neuen Erkenntnissen, etwa zu der Einsicht, dass es keine körperlose Intelligenz gibt und Intelligenz keineswegs nur im Gehirn stattfindet. Ich vermag auch nicht zu erkennen, warum deine Beispiele nicht binär darstellbar sein sollen, solange dies nicht reduktionistisch erfolgt. Mir scheint eher der Umgang mit unvollständigen, ungenauen oder fehlenden Informationen (ternär ;-) das Problem zu sein, dann ist eine binäre Abbildung schwierig.
Nimm das Notensystem als Beispiel: Hier gibt es durch die klar definierten Grenzen durchaus ein Schema von bestanden-nicht bestanden, dennoch erscheint mir die zunehmend feinere graduelle Normalverteilung als nicht zu vernachlässigende Größe.
Ich bin gerade wieder mal dabei, diese fürchterliche Normalverteilung an den Pranger zu stellen. Würde hier aber jetzt zu weit führen.
Wie groß die WIrkung der Schule auf den Medienkonsum ist, wage ich nicht einzuschätzen, natürlich gibt es hier Einflussversuche, aber die mediale Welt scheint mir doch eher eine Gegenwelt zu sein.
Den Punkt sollten wir mal im Auge behalten und in anderem Zusammenhang diskutieren. McLuhan meinte doch, dass mit den richtigen Medien Kriege verhindert werden könnten. Vielleicht könnte ja die Schule mit den richtigen Medien verhindern, dass die Kinder sich eine Gegenwelt aufbauen müssen.
Sich an Vorbildern zu orientieren, sich mit anderen Personen zu identifizieren dürfte normal und sinnvoll sein. Welche Vorbilder, welche Personen stehen den Kindern heute dafür zur Verfügung? Oder besser gefragt, welche Personen dürfen sie in der Schule ungestraft als ihre Vorbilder bezeichnen? Wenn reale Personen nicht akzeptabel sind, müssen halt fiktive und virtuelle herhalten.
Schule ist heute viel permissiver als Du vielleicht annimmst. Da sind die Gleichaltrigen viel kritischer. Ein Problem ist vielleicht die absolute Abkoppelung vieler Medienhelden von realen Verhaltensmöglichkeiten, die Tatsache, dass das so ist und immer weitere Kreise ergreift, scheint mir zumindest ein Zeichen für die Schere zwischen Wünschen/Idealen und realen Möglichkeiten zu sein.
Ja, eben drum ... was bekommt ein Mädchen zu hören, wenn es sagt: "Ich möchte Bundeskanzlerin werden, so wie Angela Merkel, die ist mein Vorbild." Oder wenn ein Junge sagt: "Ich möchte Chef einer grossen Bank werden, als bester Bänker der Welt ausgezeichnet werden, so wie Josef Ackermann, der ist mein grosses Vorbild."
Beste Grüsse
Richard