Daniel Thoma: Genug geklagt wegen XHTML im IE

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Hallo Tim,

Du bist hier unnötig oder vielleicht unwissenderweiser zu harsch gegenüber der HTML 5 Bewegung bzw. gegenüber der von Dir empfundenen Tag Soup.

Ich habe mich zugegebenermaßen mit deren Ergebnisse nur sehr oberflächlich beschäftigt, aber mir missfällt die Entwicklung in die das ganze zu gehen scheint bzw. in die es nach der z.Z. vernehmbaren Kritik an XHTML und co. gehen soll. Ich meine hier auch noch nicht mal die WHATWG oder die neue HTML-Arbeitsgruppe. Gerade letztere hat ja gerade erst angefangen und es ist noch nicht wirklich klar, wohin sie wollen. Jedenfalls ist es für mich von außen nicht wirklich zu erkennen. Mir ging es um die Forderungen, die hier im Forum und sonst in der "Webstandarscommunity" zu vernehmen sind. Hier wird immer wieder so getan, als wäre der ganze XML-Weg von weltfremden Standardisierern eingeschlagen worden, als wäre XHTML im wesentlichen Tod und gäbe es im Prinzip auch keinen vernünftigen Grund, seine Implementierung in Browsern (besonderes im IE) zu fordern.

Sämtliche Konzepte um die Syntax drehen sich nicht darum, einfach machen zu lassen, sondern vielmehr darum den bisher von jedem Browser selbst entwickelten Fehlerkorrekturalgorithmus zu standardisieren und zu vereinheitlichen.

Wir haben mit XML eine Basis die Syntaktisch klar ist, die Erweiterungsmechanismen vorsieht, die mit XSchema eine Technologie hat, die Syntax von Sprachen relativ vollständig formal zu beschreiben und für die es zahllose, hervorragende Implementierungen gibt.
Was soll da ein Tag-Soup-Standard bringen? Will man die entsprechenden Konzepte dafür neu erfinden? Wie will man die Integration bestehender Standards wie SVG oder MathML ermöglichen, gar nicht?

Das ist ebenso eine Standardisierung: Anstatt etwas komplett Neues zu erfinden, wird Bestehendes harmonisiert.

Nun, das Ergebnis ist dann eben so gut wie das bestehende ist und bei scharfer Betrachtung wird man feststellen: Es ist nicht so besonders.
Gerade der HTML-Teil ist vom Konzept her alt und von seine Konzeptionierung an vielen Stellen für die heutigen Anforderungen besonders von Webanwendungen schlicht nicht mehr tragfähig. Formulare und XMLHtppRequest sind eine jämmerliche Krücke und überhaupt ist das Entwickeln von DHTML-Anwendungen ein softwaretechnischer Albtraum.
Es ist nicht damit getan, dass man eine Hand voll neuer JS-Objekte und Formularelemente einfügt. Wenn man Webanwendungen verbessern will, sind neue Konzepte erforderlich.

Browsermacher profitieren dadurch, dass sie nicht das Rad neu erfinden müssen

Ja, dass Browsermacher ihre Investitionen schützen können, scheint irgendwie der Hauptzweck der Übung zu sein. Natürlich geht es nicht ohne sie, aber es ist auch Aufgabe des W3C, sie etwas weiter zu treiben.

Webautoren profitieren dadurch, dass die Lage harmonisiert wird; sie also in der Theorie Planungssicherheit haben.

Ja und Theorie wird es wahrscheinlich bleiben. Wieso sollte der IE ein standardisiertes Tag-Soup können, wenn er noch nicht mal ein standardisiertes XML (in zusammenhang mit XHTML) kann? Und wenn doch, was soll es bringen, wenn es so konsequent implementiert wird wie CSS 2?
Abgesehen davon hatte ich beim Punkt HTML-Verarbeitung eigentlich schon ewig keine Probleme mehr.

Und der neue Parsing-Algorithmus ist eben nicht „Alles ist erlaubt“, wie der Begriff Tag Soup impliziert, er liefert im Gegensatz der drakonischen Fehlerbehandlung XMLs eine Fehlerbehandlung mit – die angesicht des jetztigen Webs nötig ist.

Automatische Fehlerkorrektur ist für das entstehen standardkonformer (und sichererer) Implementierungen und Dokumente ein Fluch. Ich glaube auch nicht, dass irgend ein Webautor mit einem halbwegs brauchbaren Editor nicht problemlos in der Lage wäre, wenigstens wohlgeformte Dokumente zu schreiben.
Natürlich kann man HTML 4 Unterstüzung nicht über Bord werfen, aber ich sehe keinen wirklichen Sinn darin, diesen Weg weiter zu gehen. Der einzige Grund dafür könnte die Hoffnung sein, dass MS für ein kontinuierliches weiterwursteln zu haben ist, während es eine konzeptionelle Weiterentwicklung oder auch nur den Wechsel zu XML ignorieren würde.

Über die WHATWG und die neue HTML-Arbeitsgruppe habe ich mir noch keine wirkliche Meinung gebildet. Ich beobachte das ganze etwas misstrauisch, aber ich hoffe, dass sie einen vernünftigen Weg finden wird, einerseits mit kleineren Schritten vorwärts zu kommen und andererseits nicht grundsätzlich vom bisherigen Weg des W3C abzuweichen. Ich sehe aber auf jeden Fall die Gefahr, dass jetzt durch die Standardisierung erreicht wird, dass HTML 4 ein paar weitere Font-Tags enthält, die es noch weitere 10-20 Jahre überleben lassen ohne dass es eine konzeptionelle Erneuerung erfährt.

Grüße

Daniel