Hallo Chräcker,
die Schnittstelle Mensch PC wurde meistens von den Denke der Techniker diktiert, daß der Mensch sich an den Eigentümlichkeiten der Maschine zu gewöhnen habe, und nicht die Maschine an die Eigentümlichkeiten des Menschens, worunter auch Kulturerfahrungen, Lebenserfahrungen etc gehören.
Angesichts der seit 1984 existierenden PCs ist diese Aussage recht lustig. ;)
Wirf mal einen Blick auf die Nutzeroberfläche Deines PCs. Ganz unvoreingenommen. Was siehst Du da? Fenster, Icons, die Dinge symbolisieren, Schaltflächen, Karteireiter und Menüs. Alles vermurkste Metaphern aus dem wirklichen Leben, die dem Menschen, den Computer erleichtern sollen.
Die Gesamtmetapher ist, dass der Desktop ein Schreibtisch sein soll, mit Dokumenten und Ordnern, mit denen man arbeitet. Eine Metapher.
Fenster sind Dokumente/Dateien, die man sich gleichzeitig ansieht. Eine Metapher.
Der Mauszeiger ist eine Metapher.
Meine Senioren fragen mich zum Beispiel gerne, warum sie denn Scrollbalken nach UNTEN ziehen sollen, wenn sie doch das "Blatt Papier" nach OBEN weghaben wollen ;-)
Manchmal sind diese Dokumente zu groß für ein Fenster. Also ist das Fenster ein Blickwinkel auf ein Dokument, ein Ausschnitt davon. Man verschiebt dieses Ausschnitt auf dem Dokument, so wie man ein Teleskop bewegt. Dann stimmt auch die Zieh-Richtung wieder. ;) Eine Metapher, wenn auch eine schlechte.
Es ist nicht der Fall, dass böse Techniker, die Metaphern verhindern wollen, die Computerwelt ist voll davon. Du bemängelst nicht das Fehlen von Metaphern sondern die konkrete Auswahl von Metaphern.
(Wer ein IPhone-Video gesehen hat sieht, das sich das die Designer von Apple auch gefragt haben, auch bei meinem Palm kann ich mittlerweile bei manchen Programmen genau so arbeiten, ich ziehe das "Papier" nach oben einfach weg..)
Das iPhone (und andere MultiTouch-Interfaces wie die Experimente von Jeff Han) hat auch eine Geste, die ein Bild vergrößert:
Man legt zwei Finger auf das Display und zieht diese auseinander.
Wo ist da die Analogie im richtigem Leben? Es gibt zwar Vor-Computer-Varianten, Bilder zu vergrößern, aber diese erfordern immer weitere technische Geräte wie Lupen oder Mikroskope, die man weit oder nah hält oder an deren Schräublein man dreht. Dass sich ein Ausschnitt eines Bild, das man in der Hand hält, plötzlich vergrößert – dazu gibt es keine existierenden Kulturverfahren, d.h. auch keine bekannten Gesten oder Verfahren die man nutzen könnte.
Apples UI-Designer (bzw. deren akademische Vorläufer) standen also vor dem Problem, eine komplett neue, nur durch Computer mögliche Aktion, mit einem Interface zum Menschen zu verbinden. Sie mussten etwas komplett Neues erfinden. Und es wirkt – der Mensch ist schließlich lernfähig und es entstehen andauernd neue Kulturtechniken während alte aussterben.
Ich würde sagen, dass die Nutzung von T9 unter heutigen Teenagern eine Kulturtechnik ist, während das Erhitzen und Plattdrücken von gefärbten Bienendrüsensekret als notwendiger Bestandteil der Kommunikation als sehr merkwürdig angeschaut wird. ;) Und Handys haben auch keine Kurbel als Interfacebestandteil mehr wie noch alte Feld-Telefone. Auch wenn es bei meinem schnell leer werdenden Akku sinnvoll wäre.
Es ist also nur begrüssenswert, wenn wir anfangen, die Seh UND Bediengewohnheiten, die wir generationenlang uns angewöhnt haben, soweit wie möglich auf das präsentieren von Internetseiten zu übertragen.
Oder wir erfinden einfach neue Gewohnheiten, wenn diese sehr viel simpler und mit weniger Last belegt sind als die alten Gewohnheiten. Oder wir recyclen bekannte Gewohnheiten, die altbekannte Kulturtechnik "Sich von Seite zu Seite klicken" gibt es ja seit siebzehn Jahren. ;)
Ich würde Interface-Konzepte nicht wirklich nur danach bewerten, ob es bereits ähnliche Konzepte gibt. Es ist ein Grund, ja, aber der wesentliche Punkt ist meiner Meinung nach Simpelheit, d.h. weniger kognitive Last, das zu verstehen. Da ist Gewohnheit alter Konzepte nur ein Aspekt von. Auch das Lenkrad im Auto ist einer Metaphe, da man nicht in der Fahrt die Stellung der Vorderräder verstellen kann.
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Apropos: Selbst Deine Techniker setzen sich nicht mit den Eigentümlichkeiten der Maschine auseinander, selbst diese sind andauernd mit Metapher, Analogien und Abstraktionen beschäftigt. Der Autor Neal Stephenson hat mal den Essay In the beginning was the command line GUI-Metaphern verteufelt und sich auf die unixoide Kommandozeile zurückgezogen, weil er dann den Mechanismen des Computers näher sei (Inzwischen nutzt er Mac OS X).
Auch die Kommandozeile und ihre Umgebung ist nur eine Abstraktion. Das Aufrufen von Programmen und Befehlen ist nur eine Abstraktion, um die Bedienung des Computers durch den Menschen davor zu ermöglichen.
Konzepte wie Dateisysteme, Verzeichnisse oder gar Dateien sind nur durch Software ermöglichte Abstraktionen, damit der Mensch vor der Maschine sich auf der Festplatte zurechtfindet, die nur aus Ketten von Nullen und Einsen besteht.
Konzepte in Programmiersprachen wie Objekte, Datenstrukturen, Prozeduren sind auch nur Abstraktionen, die es den Programmierern erleichtern sollen, Programme zu schreiben.
Fast abstraktionsfrei ist der Computer eine Von-Neumann-Maschine, ein Ding, in das man Zahlen einfüttert und andere Zahlen rauszubekommen. Das wären die Eigenheiten der Maschine – aber damit will man sich nicht auseinandersetzen. ;)
Das World Wide Web ist auch nur eine Metapher für "Zahlen über die Leitung schicken und anderen Zahlen zurückbekommen".
(Und selbst dort hört es nicht auf. Man schickt ja keine Zahlen über Leitungen oder in den Computer. Man variiert eigentlich nur die Spannung des elektrischen Stroms zwischen zwei möglichen Werten. Und „Strom fliesst“ ist ja sowieso eine tolle Metapher. ;)
Tim, heute zuviel zwischen verschiedenen Abstraktionsebenen springend.