Alexander (HH): Defekte Festplatte retten (Reinraum?)

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Moin Moin!

Eine möglichst exakt gleiche Platte besorgen (Hersteller und Typ auf jeden Fall identisch).

  1. Platine tauschen. (Schwierigkeitsgrad: relativ pillepalle, Gefahr: gering) Wenn kein Erfolg:

Du weißt schon, dass die Firmware nur zum Teil auf der Controller-Platine liegt? Der Rest liegt auf dem Plattenstapel und wird nach dem Einschalten ins RAM des Controllers gelesen.

Passen die beiden Firmwware-Teile nicht zusammen, kann im blödsten Fall die Firmware anfangen, Daten auf dem Plattenstapel zu überschreiben.

  1. Platine zurücktauschen und die Scheiben von der kaputten in die intakte Platte einbauen. (Schwierigkeitsgrad: sportlich, Gefahr mit schlechtem Werkzeug: groß)

Auch mit gutem Werkzeug hast Du ein beträchtliches Schrott-Risiko.

Der Plattenstapel läuft bei den gängigen Platten in einer nahezu staubfreien, gefilterten Umgebungsluft. Schaffst Du Staub ins Gehäuse, riskierst Du Kratzer auf dem Plattenstapel (d.h. abgetragene Magnetschicht = Daten irreparabel weg) und beschädigte Köpfe (d.h. Daten mit diesem Kopf-Satz nie mehr lesbar).

Die nächste Generation Festplatten wird mit Helium gefüllt sein, weil das bessere Eigenschaften (geringere Dichte, höhere Wärmeleitfähigkeit) hat als gefilterte Luft. Wenn Du die öffnest, ist das Helium weg, der Plattenstapel wird nach dem Eingriff zu heiß, und vermutlich werden die Köpfe in der normalen Luft nicht korrekt fliegen.

Noch etwas, dazu muß ich ein wenig ausholen:

Ich habe in den letzten Monaten immer mal wieder Festplatten verschrottet, von Megabyte bis Terabyte war alles dabei, IDE, SATA, SCSI, MFM, RLL, teilweise 6 Monate alt, teilweise 30 Jahre. Wir können die nicht einfach so mit dem Rechner wegwerfen, weil dort teilweise sensible Daten gespeichert wurden. Die Platten, die elektrisch und mechanisch ok waren, habe ich stumpf per Software gelöscht (von vorne bis hinten überschrieben). Alle anderen Platten habe ich mechanisch zerstört.

Laptop-Festplatten kann man relativ leicht "zerkloppen", die Plattenstapel sind in aller Regel aus Glas und das Gehäuse aus Blech und Plastik leistet Gewalt keinen nennenswerten Widerstand. Am Ende bleibt ein kleines, krummes Blechgehäuse gefüllt mit feinen Glassplittern, da ist nichts mehr zu retten.

Desktop- und Server-Festplatten sind in aller Regel aus dem vollen Block gefräst oder auf einem Gußteil aufgebaut, das sich der mir zur Verfügung stehenden Gewalt erfolgreich widersetzt. Diese Platten habe ich zerlegt und Elektronik, Köpfe und Plattenstapel zerstört.

Die Controller-Platine ist in aller Regel mit ein paar Schrauben befestigt und hat ein paar Steckverbinder und/oder flexible Leitungen ins innere der Festplatte. Leicht zu demonieren, leicht zu tauschen.

Der Deckel ist meistens auch geschraubt, mindestens eine Schraube ist versiegelt. An die kommt man nicht heran, ohne deutliche Spuren zu hinterlassen. Zusätzlich ist der Deckel oft verklebt oder wenigstens mit einer stark haftenden Dichtung versehen. Ist der Deckel ab, findet man in aller Regel die Köpfe mitten im Plattenstapel wieder, und auch mit viel Geduld bekommt man sie dort nicht heraus, ohne dass die Köpfe auf den Platten kratzen (=Daten zerstören). Die Mechanik der Kopfarmlagerung verhindert, dass die Köpfe den Plattenstapel verlassen. (Laptop-Platten haben gelegentlich eine Ruheposition außerhalb des Plattenstapels, Desktop- und Server-Platten nicht.) Um größere Schäden zu verhindern bleibt einem eigentlich nur die Möglichkeit, die Köpfe samt Armen und Lagerung UND den Plattenstapel gleichzeitig aus dem Gehäuse auszubauen, ohne die beiden Achsen (Kopflager und Plattenstapel-Lager) relativ zueinander zu bewegen. Das geht meiner Ansicht nach nur über eine Hilfskontruktion, an der beides befestigt wird. Einziger Ansatzpunkt sind die Löcher für die Schrauben, die im Normalfall die Achsen mit dem Deckel verbinden. Ach ja, die beiden großen Permanent-Magnete, zwischen denen das andere Ende der Kopfmechanik hängt, müssen auch mit raus. Natürlich OHNE in die Nähe des Plattenstapels zu gelangen und ohne die Kopfmechanik zu beschädigen.

(Ganz wenige Festplatten haben einen Anschlag, den man ausbauen kann, dann kann man die Köpfe tatsächlich aus dem Stapel ziehen. Diese Platten sind aber sehr selten.)

Und damit das nicht langweilig wird, führen Folienleitungen das Signal der Köpfe auf einen Verstärker, der in aller Regel direkt auf der Kopfmechanik sitzt. Von dort führt die selbe Folie das Signal entweder durch eine Dichtung direkt auf die Controller-Platine oder aber es ist eine Pfostenleiste auf die Folie gelötet, die durch eine Dichtung auf einen Steckverbinder auf der Controller-Platine führt. Im ersten Fall muß die Dichtung dran glauben, im zweiten Fall kann man sich auch mit Entlötversuchen das Leben schwer machen. (Wo kondensiert wohl der ganze Dreck, den das Entlöten verursacht? Tipp: Plattenstapel!)

Ach ja, und natürlich sitzt der Plattenstapel auf einem Motor, der in aller Regel sehr gut mit dem Gehäuse verbunden ist. Auch der muß vom Gehäuse und der Controller-Platine getrennt und demontiert werden. Und natürlich ist dort auch wieder einiges versiegelt.

Ich will nicht ausschließen, dass einige handwerklich sehr begabte Leute einen Plattenstapel ohne größere Schäden in ein anderes Gehäuse umsetzen können. Mit Glück lebt anschließend die Platte sogar noch lange genug, um Daten zurücklesen zu können.

Aber bei allen (Nicht-Laptop-)Festplatten, die ich bislang zerlegt habe, schätze ich das Risiko für weitere, möglicherweise schwere Schäden am Plattenstapel und / oder Köpfen und / oder Mechanik größer ein als die Chance, Daten von dem Plattenstapel zu lesen. Schon allein, weil man mit Hausmitteln kaum eine ausreichend saubere Umgebung schaffen kann.

Beim Verschrotten mußte ich darauf natürlich keine Rücksicht nehmen, ich hab alle Schrauben gelöst, alles lose Zeug herausgeschüttelt, die nächsten Schrauben gesucht und irgendwann entweder die Köpfe aus dem Plattenstapel herausgerissen, herausgehebelt oder den Plattenstapel mit Gewalt herausgezogen, dann noch alle Platten von der Spindel gelöst und die Platten zerstört.

Ich vermute, dass ich auch bei den leichten Fällen, bei denen sich alles relativ leicht zerlegen ließ und bei denen keine Gewalt notwendig war, mindestens die Köpfe und die Oberflächen des Plattenstapels demoliert habe. Schon allein, weil ich die Köpfe nicht perfekt parallel zu den Oberflächen aus dem stehenden Plattenstapel drehen konnte.

Festplatten-Hersteller sind übrigens oft sehr kreativ, was die Befestigung von einzelnen Teilen angeht. Schrauben sind oft sehr gut versteckt (nicht alle Siegel verdecken Schrauben, manche Siegel verdecken Löcher oder gar nichts, andere verdecken andere Siegel, die wiederum Schrauben verdecken), und manchmal müssen erst andere Teile aus dem Weg geräumt werden.

Wer also immer noch nicht entmutigt ist, dem kann ich nur empfehlen, mindestens eine weitere identische Festplatte zu beschaffen, und an der erst einmal das Zerlegen und Zusammensetzen der Festplatte zu üben und die kleinen Garstigkeiten zu erforschen, die sich der Hersteller ausgedacht hat.

  1. Wenn die Scheiben nicht beschädigt werden, haben die Profies immer noch gute Chancen.

Korrekt. Und da schon mit dem Öffnen des Gehäuses jede Menge Staub eindringt, wird der Plattenstapel fast zwangsläufig beschädigt. Spätestens, wenn man Köpfe und Plattenstapel zerlegt. Deswegen läßt man das besser sein, wenn man an den Daten hängt.

Alexander

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Today I will gladly share my knowledge and experience, for there are no sweeter words than "I told you so".