Hallo Linuchs.
Ich möchte verstehen, wie zu Zeiten meiner Eltern und Großeltern fast das ganze deutsche Volk für den "Zweiten Weltkrieg" zu begeistern war und wie man dann über benachbarte Völker hergefallen ist.
Genau das wurde uns (ich bin Jahrgang 1948) als verwerflich eingebläut. Doch nun sollen wir zustimmen, dass die NATO unter Führung der USA genau das wieder tut, andere Völker überfallen. Es soll gut sein, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird.
Wirklich, "genau das"?
Deutschland hat, unter der Herrschaft der Nazis, einen gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Vernichtungskrieg, hauptsächlich gegen die Völker Osteuropas geführt, zum Zwecke der Ausdehnung des eigenen Territoriums und zur Umsetzung rassistischer Wahnvorstellungen.
Das mit der Kriegsführung der NATO gleichzusetzen ist absurd, sowohl mit Blick auf die Zielsetzung als auch hinsichtlich der Wahl der Mittel.
Du bringst den Afghanistankrieg ins Spiel.
Von der Tatsache einmal abgesehen, dass die USA bekanntermaßen durch ihre Unterstützung radikalislamischer Kämpfer im Krieg gegen die damals in Afghanistan einmarschierten Russen, gerade diejenigen lokalen Kräfte gestärkt hatten, die später unsägliches Leid über die Afghanische Bevölkerung gebracht haben, waren es ja wohl auch gerade diese Kräfte, welche den Einmarsch der NATO in Afghanistan letztlich zu verantworten haben.
Nur zur Erinnerung: Al Quaida, und überhaupt islamistischer Extremismus in all seinen Formen, ist keine Erfindung unserer angeblich zentralgesteuerten Presse, sondern eine aus der Entwicklung der islamischen Gesellschaften heraus zu verstehende Strömung, welche sich wesentlich aus einem Gefühl des Verlustes eigener Überlegenheit speist, welche aus Sicht der muslimischen Welt über eine Periode von wenigstens einem halben Jahrtausend lang Bestand hatte, insbesondere gegenüber dem Christentum, und aus dem Gefühl der Kränkung, in der Folgezeit wirtschaftlich und machtpolitisch von ebenjenen zurückgebliebenen Christen überholt worden zu sein. Während nun aber ein Teil der islamischen Welt die Moderne als Herausvorderung im positiven Sinne versteht, die eigenen Standpunkte zu überdenken und gesellschaftlichen Fortschritt möglich zu machen, gibt es eben auch eine nicht unerhebliche Gruppe von Muslimen, die dazu noch nicht in der Lage ist, und die aus Mangel an Argumenten versucht, durch Gewalt und Einschüchterung, den ihnen nach eigener Ansicht zustehenden Status in der Welt zurückzuerlangen.
Die Islamisten, welche in Afghanistan vor dem Einmarsch der NATO das Sagen hatten, waren keine harmlosen, bloß etwas rückständigen Naturburschen, die in seliger Eintracht vor sich hinlebten, sondern Despoten, welche ihre Herrschaft über das afghanische Volk nur durch Einsatz extremster Gewalt und durch Einschüchterung Andersdenkender aufrecht erhalten konnten. Diese islamistischen Gewaltherrscher haben ihre schützende Hand über die Hintermänner der Anschläge - unter anderem und am verheerendsten in New York - gehalten, und ihnen ideologische und materielle Unterstützung gewährt. Der Aufforderung dann, diese Unterstützung einzustellen und diejenigen, die tausende Zivilisten getötet haben bzw. zu diesen Taten angestiftet haben, auszuliefern, wurde nicht nachgekommen. Daher hat der Westen beschlossen, diese Bedrohung durch eine militärische Intervention aus der Welt zu schaffen.
Die Gründe, warum das nicht- oder nur teilweise - gelungen ist, sind vielfältig und eine Diskussion darüber würde den Rahmen dieses Forums sprengen, aber für mich sind hier wenigstens zwei Faktoren von überragender Bedeutung: Erstens hat man insgesamt zuwenig Mittel eingesetzt, die Aufgabe vor der man stand massiv Unterschätzt, und zweitens hat man die eingesetzten Mittel falsch gewichtet, sich zu sehr auf die militärischen Aspekte konzentriert und den Aufbau von Strukturen vernachlässigt, welche für die Entstehung einer funktionierenden Zivlgesellschaft unabdingbar sind, obwohl man dies, was man den NATO-Staaten nicht absprechen kann, tatsächlich versucht hat.
Zu keinem Zeitpunkt hatte die NATO bei ihren Einsätzen, egal ob in Afghanistan oder anderswo jedenfalls das Ziel, die betroffenen Völker zu unterdrücken, oder gezielt Gewalt gegen sie auszuüben, wie das bei den Nazis unzweifelhaft der Fall war, sondern es ging stets darum, real existierende Bedrohungen zu beseitigen, so unfähig zur Bewältigung dieser Aufgaben sie sich auch erwiesen hat.
Das nimmt uns selbstverständlich nicht aus der Verantwortung: Wenn man sich die Weltgeschichte anschaut, wird man feststellen, dass die europäischen und nordamerianischen Völker durchaus eine beachtliche Mitverantwortung tragen, für sehr viele Dinge, falsch liefen und die heute noch falsch laufen. Aber es ist ein Fehler, unsere westliche Gesellschaft allein für alles und jedes Übel auf der Welt verantwortlich zu machen. - Was uns zum nächsten Punkt bringt.
Freunde des Ausgleichs und des Friedens werden als Putin-Versteher lächerlich gemacht. Die NATO rückt Land für Land vor und die, die sich davon bedroht fühlen, sind im Unrecht?
Nicht die Freunde des Ausgleichs und des Friedens werden "lächerlich gemacht", sondern zurecht diejenigen, die aus ideologischer Verblendung nicht der Tatsache ins Auge sehen wollen, dass nicht der Westen hier Aggressor ist, sondern ein russisches Regime, dass sich nur durch massive Korruption, den Rohstoffreichtum des Landes vergeudend und durch absurden Propagandaeinsatz an der Macht halten kann, und das, um von der eigenen politischen Unfähigkeit abzulenken, in klassischer Manier Feindbilder im Inneren (Schwule, Liberale) und im Äußeren (der Westen) konstruiert und pflegt.
Ich habe zufällig einige Freunde in Russland und auch Weißrussland, war dort, und spreche auch ein bischen die Sprache und kann nur sagen, dass es sich hier wirklich um völlig atavistische Gesellschaften handelt, die es zumindest bislang nicht geschafft haben, ein wenigstens halbwegs akzeptables Maß an Rechtsstaatlichkeit herzustellen, Pluralität in der politischen Meinungsbildung zu gewährleisten und echte demokratische Regierungsbildung zu ermöglichen. Was jedoch nicht verwundert, wenn man berücksichtigt, dass diese Völker in ihrer Geschichte praktisch nie die Erfahrung von Selbstbestimmung machen durften, sondern im Gegenteil seit jeher unter der Knute der jeweiligen Herrscher lebten, egal ob feudalistisch oder kommunistisch legitimiert.
Bei der Verenigung Deutschlands 1989/1990 wurde den Russen zugesagt, dass sich die NATO nicht nach Osten ausbreitet [...]
Wie man hier nachlesen kann, hat es eine vertragliche Verpflichtung dahingehend nie gegeben, und eine Solche wäre der in der NATO organisierte Westen auch niemals eingegangen. Denn im Gegensatz zum Warschauer Pakt, handelt es sich bei den Mitgliedsstaaten der NATO nicht um Marionettenregime innerhalb eines despotischen Gesamtsystems, die durch physischen Zwang an der Leine gehalten werden, sondern um selbstbestimmte Demokratien, die im Angesicht der realen Bedrohung durch die auf Zwang und Unterdrückung gründende Sovietunion beschlossen hatten, ihre militärischen Kapazitäten zu vereinen. Weder Irland, noch die Schweiz, Österreich oder Schweden wurden dazu genötigt beizutreten. Der Beitritt (oder Austritt - siehe Frankreich) zur NATO unterliegt einzig dem demokratisch zum Ausdruck gebrachten Willen der jeweiligen Völker.
Dass nun die Völker Osteuropas, die nach dem Zusammenbruch der Sovietunion erstmals nach Jahrzehnten ihre Freiheit wiedererlangt haben, die freie Entscheidung treffen, Mitglied der NATO zu werden ist ganz überwiegend auf den Grund zurückzuführen, dass sie sich von dem einzigen Land der Region bedroht fühlen, dass den Übergang zu Demokratie und Rechtstaatlichkeit bislang nicht hinreichend vollzogen hat, nämlich Russland (Weissrussland mal außen vor).
Ich denke, die Kündigung des "Kalten Krieges" durch Gorbatschow war ein Schlag gegen die westliche Rüstungsindustrie. Der Gegner des Westens hatte sich aufgelöst, eine wunderbare Nachricht damals für die Völker.
Der Kalte Krieg wurde nicht dadurch beendet, dass der nette Herr Gorbatschow in all seiner Weisheit einen Beschluss dazu gefasst hätte, sondern im wesentlichen schlicht aus zwei Gründen, nämlich erstens, dass sich das starre, unflexible System der Planwirtschaft gegenüber dem System der Marktwirtschaft mit all ihren Anpassungsmechanismen als bei weitem unterlegen herausgestellt hat sowie zweitens der Tatsache, dass die Völker der Sovietunion nach Jahrzehnten der Unterdrückung und des wirtschaftlichen Mangels nicht mehr länger gewillt waren, diese Zustände länger hinzunehmen, sie deshalb aufbegehrten, in Polen, in Ungarn, in der DDR, schließlich überall, und sich das auf Unterdrückung und Korruption gründende Sovietregime nicht mehr länger an der Macht halten konnte. Aber ja. Das war tatsächlich ein Schlag gegen die westliche Rüstungsindustrie!
Fortsetzung folgt...