Lieber Camping_RIDER,
Du machst aus „die Politiker“ „die Regierung“.
wenn ich vorher von "die Politiker" geschrieben habe, dann aber auch in Kontexten, in denen "die Politiker" nach ihrer Amtszeit bei großen (in aller Regel börsennotierten) Unternehmen in deren Aufsichtsräten sitzen. Das ist sicherlich nicht für "alle Politiker" gültig, sondern nur für solche, die in passenden politischen Positionen sitzen. Da ist es fast unvermeidbar, dass sich die Schar aller Politiker auf "die Regierung" reduziert.
Dazu gehört, wie auch zum Würdigen einzelner Politiker, viel Zeit und Ahnung. Dazu muss man sich ordentlich mit der Materie beschäftigen, um dann tatsächlich auch ein differenziertes Urteil fällen zu können.
Wenn Du das nicht tun willst, warum wirfst Du mir dann vor, dass ich es auch nicht tue?
Das <I>, dass du mir da in die Tasche schieben willst, zieht nicht. Ich habe nicht gesagt, dass ich in der Lage bin, ein differenziertes Urteil abzugeben.
Achso, aber meine Beobachtung und Kritik ihrerseits als undifferenziert zu kritisieren, dazu bist Du in der Lage. Mal sehen, ob es nicht ein Missverständnis ist.
Aber mir ist es dann lieber, kein Urteil abzugeben als ein undifferenziertes - und zum kein Urteil abgeben gehört es dann halt auch dazu, offensichtlich undifferenzierte Urteile anderer abzulehnen.
Inwiefern sind die von mir beobachteten Mechanismen der Verzahnung von Politik und Wirtschaft (prominentestes Beispiel "Gazprom Gerd") ein undifferenziertes Urteil?
Dem Urteil, dass eine Veränderung Not tut und im Moment nur eine Minderheit an selbiger ernsthaft interessiert ist, stimme ich zu. Genauso dem Fakt, dass man das in einer Demokratie respektieren muss.
Ok, da sind wir uns einig.
Respektieren heißt aber nicht automatisch akzeptieren,
Ich habe geschrieben, dass ich als Demokrat die Wahlergebnisse und die daraus resultierenden politischen Fraktionsbildungen, letztlich die Regierung und das, was sie tut, akzeptieren muss. Als Wähler habe ich im Wesentlichen(!) nur durch meine Wahlentscheidung eine Möglichkeit, wirklich etwas zu verändern.
Natürlich kann ich versuchen, in das System aktiver einzugreifen, indem ich selbst eine Partei aufmache. Zuletzt ist durch soetwas die AfD entstanden (ist sie wirklich die jüngste Partei?). Aber wenn jeder mit der aktuellen politischen Lage unzufriedene Demokrat gleich eine Partei aufmachen soll, damit er wirklich aktiv etwas bewirken kann, wozu braucht es dann noch Wähler?
und spätestens da, wo sich das Argument aus „die Reichen“, „die Mächtigen“ oder „die Politiker“ speist wirds halt undifferenziert.
Meistens, ja. Aber schau Dir die aktuelle Lage doch an! Warum ist es bei uns denn so, wie es ist? Wir haben tatsächlich seit dem 12.12.2014 eine Verschärfung der Abgeordnetenbestechung, damit das deutsche Strafrecht hinsichtlich Korruption konform mit dem UN-Übereinkommen ist. Das ist schön. Immerhin. Wollen wir mal sehen, inwiefern das Nachahmern von Gazprom Gerd überhaupt ein Hindernis ist.
Ich warne aber davor, die Missstände zu häufig zu zitieren, denn genau wie im von mir verlinkten Thread möchte ich einfach anmerken, dass es das Eine ist, Missstände oder unrechtmäßiges Handeln zu sehen und zu schlucken, aber das Andere, selbige als naturgegeben vorauszusetzen.
Oh, naturgegeben ist nur die Bequemlichkeit des Menschen. Auch ich war noch nie auf einer politischen Kundgebung oder Demo. Dafür war ich bisher viel zu bequem. Mir ging es bisher offensichtlich immer zu gut, um mich stundenlang in die Kälte zu stellen, um meinen politischen Unmut an geeigneter Stelle mit Gleichgesinnten öffentlichkeitswirksam zur Schau zu stellen. Und da bin ich nicht alleine. Gerade Du und ich hatten doch neulich bei einem Mittagessen einen Rentner reden hören, dass es uns als Gesellschaft noch nie so gut ginge wie heute. Wir waren uns einig, dass er aus seiner Warte als Rentner durchaus einen Grund hat das so zu sehen. Aber jüngere Generationen als er müssen heute ganz scharf aufpassen, dass sie nicht in Altersarmut geraten. Auch bezahlbarer Wohnraum ist unter den TOP5 der Sorgen des "gemeinen Mannes". Prekäre Beschäftigungsbedingungen, Harz IV und was noch alles.
Aber so lange jeder sein Essen hat, ausreichend gekleidet ist, ein Dach über dem Kopf und ein Smartphone mit Internet in der Hand hat, ist es mit der Unbequemlichkeit noch nicht schlimm genug, als dass man den Status Quo sofort aktiv angehen will (denke Sturm auf die Bastille), und sein Wahlverhalten drastisch gegen die richtet, die diesen Status Quo aufrecht zu erhalten versprechen ("Deutschland geht es gut und das soll so bleiben.")
Ich halte die AfD für keine Lösung des Problems. Nur ein Phänomen. Mein Verdacht ist, dass gerade die AfD-Wähler mit Blick auf die Gesamtlage zu undifferenziert denken. Die sehen meiner Einschätzung nach nur einen kleinen Ausschnitt genau.
Es mag an meiner Jugend liegen, aber ich kann mich einfach nicht damit anfreunden, Missstände hinzunehmen. Ich muss respektieren, dass es Missstände gibt und, dass ihnen schwer beizukommen ist, so schwer, dass man vielleicht mit einigen von ihnen leben muss, aber ich muss sie nicht akzeptieren, denn das würde bedeuten zu resignieren - und das habe ich nicht vor.
Ich resigniere nicht. Ich arrangiere mich. Das ist das, was ich tatsächlich jetzt sofort tun kann. Ich gehe weiterhin zu den Wahlen und mache mein Kreuzlein dort, wo ich es für richtig halte. Und das tut der Rest der wählenden Bevölkerung auch. Die denkt und handelt aber nicht so wie ich. Und das muss ich nicht nur respektieren, das muss ich auch akzeptieren. Denn ein Demagoge will ich nicht werden. Wer bin ich denn, dass ich andere zu ihrem Glück zwingen will? Und habe ich die allein gültige Wahrheit gepachtet, mit der ich sicher sagen kann, wie der Rest der Bevölkerung seine politische Wahlfreiheit bestmöglichst umzusetzen hat? Da bleibt mir nicht Respektieren, da bleibt mir nur Akzeptanz. Oder Auswandern.
Liebe Grüße,
Felix Riesterer.