Lieber Gunnar,
… und von den Steuermehreinnahmen sollten Kindergartenplätze finanziert werden u.a. Dinge, die die Gesellschaft kinderfreundlicher machen.
wer sagt denn, dass mehr Kindergartenplätze die Gesellschaft kinderfreundlicher machen? Und wer definiert, was "kinderfreundlich" genau für ein Maßstab ist, den wir an unsere Gesellschaft anlegen wollen?
Deine Forderung vereinfacht meiner Meinung nach zu Unrecht die Komplexität der Sache auf die Formel mehr Kindergartenplätze = "kinderfreundlichere Gesellschaft" = besser
.
Meiner Ansicht nach ist es für Kinder besser, wenn sie zuhause von Eltern erzogen werden, die sich wirklich um ihre Kinder kümmern, als dass der Kindergarten oder die Kita eine Art Parkplatz für die Kinder sind, damit die Eltern arbeiten gehen können. So hätten die Kinder einen "Betreuungsschlüssel", der dem Kindeswohl am ehesten gerecht wird. Ein "Kindergartenplatz" bedeutet, sich eine Betreuungsperson mit wie vielen anderen Kindern zu teilen? Entspricht das dem Idealfall?
Ich will nicht abstreiten, dass der Beruf des Erziehers oder der Erzieherin eine wichtige Ergänzung in der Erziehung und körperlich/geistigen Entwicklung eines Kindes leistet, der bei rein von Eltern geleisteter Erziehung in vielen Fällen fehlen würde, da ja nicht alle Eltern diese fachliche Qualifikation haben. Auch lernen die Kinder im Kindergarten und schon in der Kita, sich mit gleichaltrigen auseinander zu setzen und damit wesentliche soziale Kompetenzen, die sie rein zuhause in dem Maße sicherlich nicht lernen könnten.
Aber führen mehr Kindergartenplätze und mehr Kita-Plätze wirklich zu einer Verbesserung für die Kinder? Ist "kinderfreundlich" ein Maßstab, der misst, welche Möglichkeiten Eltern haben, ihre Kinder mit erweiterten Bildungsangeboten zusätzlich zu fördern, oder eher, welche Versorgungsmöglichkeiten Eltern für ihre Kinder haben, um arbeiten gehen zu können? Ist "kinderfreundlich" nicht auch eine Frage, welche beruflichen Entlastungen eine Gesellschaft den Eltern von Kindern ermöglicht, so dass diese sich intensiver ihrer Kinder, anstatt weniger durch diese "gehindert" ihrer Erwerbstätigkeit widmen können? Viele Kinder wünschen sich Eltern, die mehr Zeit für sie haben, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Inwiefern machen also mehr Kindergartenplätze die Situation für die Kinder besser?
Leider zeigt die bisherige Erfahrung, dass eine größere finanzielle Unterstützung für Eltern in der Mehrheit der Fälle nicht dazu führt, sich mehr selbst um die Kinder zu kümmern, sondern vermehrt die Nutzung solcher eben auch kostenpflichtiger Kita- oder Kindergartenplätze in Anspruch zu nehmen. Hier denke ich, sollte die Idee hinter "kinderfreundlicher" vor allem auch eine Sichtweise fördern, dass seelisch und geistig gesunde Kinder ein Elternhaus brauchen, das nicht nur arbeiten geht, sondern insbesondere für sie da ist und Zeit für sie hat. Übrigens ein Argument, warum Frauen statistisch gesehen weniger Top-Positionen in Unternehmen bekleiden, da sie sich, wenn sie einmal Kinder haben wollen, diese spätestens im Alter um die 30 Jahre bekommen wollen, und dann auch für sie da sein möchten. Aber wenn wir Prekärbeschäftigung haben, wenn wir Aufstocker haben, wenn wir also eine wirklich beunruhigende Arbeitsmarktsituation haben, die viele Eltern in die Notlage treibt, Zeit für Kindeserziehung als Luxus zu betrachten, weil sie die Einkommenssituation verschärft, dann ist vielleicht die Forderung nach mehr Kindergartenplätzen nicht die dringendste Maßnahme, die unsere Gesellschaft braucht, um "kinderfreundlicher" zu werden.
Liebe Grüße,
Felix Riesterer.