Lieber Camping_RIDER,
Ach, ich glaube das geht zu weit. Ich sehe das, was agender angeht, zwar der Sache nach genauso wie du, glaube aber, dass dabei auch was missverstanden wird.
da bin ich mir nicht so sicher. Immerhin wird in den Staaten der Begriff gender scheinbar täglich weiter gedehnt, so dass er nur noch entfernt mit dem zu tun hat, was wir im Deutschen als Geschlechteridentität bezeichnen würden.
Man kann genderfree doch unter der Prämisse des Spektrums zwischen den Extrempunkten Mann und Frau auch so verstehen, dass sich diese Person zwar in selbigem Spektrum befindet, die konkrete Abstufung, auf der sie sich befindet aber entweder nicht genau benennen kann oder nicht benennen möchte. Also eine Person, die sich nicht auf eine konkrete Abstufung einordnen kann.
Oder eine Person, die sich der Frage nach einer geschlechtlichen Identität völlig entziehen will und sich als asexuell empfindet. Wer asexuell lebt, braucht auf die Frage nach der Geschlechteridentität oder gender identity überhaupt keine Antwort. Und das Gender-Mainstreaming würde das unterstützen. Ich kann das nicht.
Denn wäre der Begriff agender einfach nur eine Überspitzung, die vielleicht als Reaktion darauf erfolgt, dass woanders nicht wie hier nur zwischen "Mann", "Frau" und "irgendwo dazwischen" unterschieden wird, sondern, dass dieses "irgendwo dazwischen" andernorts teils nochmal in viele einzeln benannte Ausprägungen unterteilt wird. Damit wäre agender nur die Ablehnung einer solchen Einordnung.
Wenn das so wäre, dann wäre agender ein Synonym für gender fluid? Vielleicht als Kampfbegriff?
Wir waren uns ja im wesentlichen darüber einig, dass es nicht sinnvoll ist, das "irgendwo dazwischen" noch detailiert zu unterteilen, und ich denke agender kann genau in diesem Sinne, also der Ablehnung einer genauen Einteilung im Spektrum, verstanden werden.
Wenn es denn so gemeint ist. Ich argwöhne da etwas anderes. Nocheinmal die Worte aus der Wikipedia:
An agender person ('a-' meaning "without"), also called genderless, genderfree, non-gendered, or ungendered, is someone who identifies as having no gender or being without a gender identity. (Wikipedia)
Für mich klingt das nicht nach Verweigerung, die Position in einem Spektrum näher definieren zu müssen, sondern nach der Verweigerung, das Spektrum für sich in Anspruch zu nehmen.
Das ist ja das Problem mit der Idee eines selbstdefinierten gender: Wenn ich plötzlich alles zulasse, dann auch die komplette Ablehnung des Konzeptes! Und das tut der Gesellschaft - nach meiner Überzeugung - nicht gut und passt auch nicht in den betreffenden Eintrag im Pass.
Am Ende ist das vermutlich nur ein Kommunikations- und/oder Wortwahlproblem, kein Problem eines tatsächlichen Unterschieds. Deshalb: vielleicht keine Spinner, vielleicht einfach nur eine andere Ausdrucksweise unter anderen Prämissen, die das selbe meint.
Ich traue dem Frieden nicht.
Weil man, wenn man Grau ist, nicht Schwarz und nicht Weiß ist, also weder noch. Mann und Frau sind die Extrempunkte, die sind als Gesamtpaket nicht inklusiv.
Mich überzeugt der Vergleich nicht. Weder Grau, Schwarz noch Weiß sind wirklich Farben. Sie sind verschiedene Abstufungen von Lichteinwirkung (oder dessen Filterung). Weiß wäre 100% und Schwarz eben 0%. Grau ist dann was? Ab wieviel Prozent beginnst Du nicht mehr von Schwarz, sondern von Grau zu reden? Und ab wann ist es für Dich nicht mehr Grau, sondern Weiß? Vielleicht willst Du das nicht definieren und nennst deshalb alles Grau?
„Von beidem etwas“ wäre eine treffendere Formulierung - präziser als „weder noch“ und nicht wortklauberisch gesehen fehlerbehaftet wie „beides“.
Meine Wortklauberei versucht nur, die Sachlage so zweifelsfrei und genau wie möglich zu benennen und zu beschreiben. Gerade agender ist nämlich sicherlich nicht einfach nur ein überspitztes gender fluid, und genderless eine Variante dessen. Wenn es so einfach wäre, bräuchte es auch im Englischen nicht diese Vielfalt an Begriffen aka Wortklauberei!
Ich glaube aber, du hast ein zu schlechtes Bild von political correctness. In meinen Augen ist political correctness nicht generell abzulehnen. political correctness kann helfen - z.B. durch die Vermeidung vorurteilsbeladener Assoziationen. Wichtig ist aber, dass gleichzeitig tatsächliche faktische, gesellschaftliche Veränderungen stattfinden.
Ich gebe Dir insofern Recht, als dass bestimmte Begriffe mit einer gewissen gesellschaftlichen Haltung in einer gewissen vergangenen Zeit zusammenhängen. Der Mohr ist z.B. ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert, dessen Assoziationen ganz bestimmte sind. Wenn eine Schololadenfirma diesen in ihrem Firmenlogo oder Produktlogo verwendet, dann erinnert sie an das exotische Element, das bei diesem Begriff mitschwingt. Es ist daher gut, wenn wir diesen Begriff nicht für Menschen verwenden, die uns begegnen und eine dunkle Hautfarbe haben. Aber das nicht-mehr-Mohr-sagen ist keine political correctness. Es ist wie Du später völlig zurecht anführst eine natürliche Weiterentwicklung der Sprache.
Wenn wir den heute als Schimpfwort geltenden Begriff nigger anschauen, dann muss es eine ins Englische des 18. Jahrhunderts übertragene Aussprache des lateinischen niger (schwarz) gewesen sein (Wikipedia dazu). In dieser Zeit waren so bezeichnete Menschen Sklaven. Daher ist es ebenfalls richtig, diesen Begriff nicht mehr zu verwenden - abseits der Tatsache, dass er heute als eine rassistisch konnotierte und äußerst abwertende Bezeichnung für Menschen dunkler Hautfarbe (Wikipedia), also im Grunde als Schimpfwort gilt. Aber auch hier denke ich, ist es unangebracht, das als political correctness zu bezeichnen, sondern als natürliche Sprachentwicklung.
Ich gehe völlig mit dabei, political correctness um der political correctness Willen abzulehnen. Ob ich meinen Mitbürger „Neger“ oder „Farbigen“ nenne ist piepegal, wenn ich beides Mal Vorurteile habe. Wenn ich andererseits keine Vorurteile habe und das klarmachen möchte, kann es helfen, wenn ich „Farbiger“ statt „Neger“ sage.
Die Frage ist, warum das helfen sollte. Wenn ein Umdenken in der Bevölkerung angekommen ist, dann mag sie einen neuen Begriff dafür schöpfen und dann auch dabei bleiben. Das wäre natürliche Sprachentwicklung. Aber gerade in den USA sehen wir die x.te Iteration desselben Verfahrens. Wir sagen dort mittlerweile people of color. Das hat nichts mit natürlicher Sprachentwicklung zu tun, sondern mit political correctness, denn Afroamerican, das nach black person galt, ist mittlerweile auch "verbraucht". Wo also ist political correctness wirklich hilfreich? Ich behaupte: Nirgends. Ehrlichkeit wäre es, aber das ist das Gegenteil.
Man vergleiche die Entwicklung der Bezeichnung für junge Frauen (oder allgemein von Frauen!) vom Mittelalter bis heute. Ich schätze du lehnst es auch nicht ab, wenn man seine Tochter als „Mädchen“ statt als „Dirne“ bezeichnet…
Der Begriff Dirne mag durchaus in Ordnung gehen. Es kommt auf den Dialekt an, in dem diese Vokabel erhalten geblieben ist, und natürlich auf den Kontext. Dass es heute als Synonym für Prostituierte missverstanden werden kann, gilt aber auch für Mädchen, ohne dass es ein leichtes Mädchen sein muss.
political correctness ist kein modernes Phänomen und auch nicht schlecht. Was ein modernes Phänomen und schlecht ist, ist das Überhöhen der political correctness und die völlig falsche Priorisierung, in der gelegentlich mehr auf die Sprache als auf die gesellschaftliche Ursache geachtet wird.
Ich habe oben den Unterschied erläutert, wie er sich mir darstellt.
Liebe Grüße,
Felix Riesterer.