Über berechtigte und unvernünftige Kritik der CSS-Unterstützung des kommenden Internet Explorers
In den letzten Tagen schwirrte folgende Statistik durchs Netz und wurde tausendfach verlinkt:
Web browser standards support summary
Worum geht es dort? David Hammond macht sich seit längerer Zeit die Mühe, die Erfordernisse der W3C-Standards akribisch mit den verbreiteten Browsern zu prüfen. Daraus erstellt er ein Ranking. Nun hat er hat auch IE 7 Beta 3 durchgetestet und vergleicht die Ergebnisse mit denen des IE 6. Die verbesserte Standardunterstützung wurde messbar gemacht: Während IE 6 nur 51% der CSS-2.1-Spezifikation unterstütze, unterstützt IE 7 Beta 3 nur 4% mehr, nämlich 55%.
Das sorgte weltweit für große Empörung und Hassbekundungen bei allen Webautoren, die sich in der Vergangenheit mit den Fehler des Internet Explorers herumschlagen mussten. Auf digg.com wurde ein Artikel mit dem reißerischen Titel IE7 is basically non-compliant with CSS web standards gepostet und auch deutschsprachige Weblogs berichteten, z.B. Armutszeugnis für Internet Explorer 7.
Nun, ich fand diese Statistiken nie sonderlich aussagekräftig – die nackten Zahlen und Summen gewichten nicht nach Wichtigkeit und Praxistauglichkeit. Ich habe es immer für eine akademische Fingerübung gehalten, jeden Fissel der CSS-2.1-Spezifikation durchzugehen und auszutesten. Das ist vielleicht nötig für Browserentwickler, über die CSS-Praxis sagt das aber nichts konkretes aus. Totale Standardunterstützung ist nicht einmal das Entwicklungsziel von besonders standardkonformen Browsern wie Gecko und Opera. In der Praxis interessieren mich keine Zahlen, sondern welche Fallstricke bei welchen Alltagsaufgaben lauern und wie ich sie umschiffen kann. Eine CSS-Praxisdokumentation muss daher für mich eine ganz andere Herangehensweise haben als ein Ranking zur Standardunterstützung. Ich habe diese Statistik auch nie als Referenz verwendet, die mir bei Alltagsproblemen beisteht.
Abgesehen von dieser grundsätzlichen Skepsis finde ich es erschreckend, wie die Statistik von Webautoren rezipiert wird. Offenbar wird sie vor allem von notorischen IE-Hassern und anderen Browser-Fanboys zur Agitation benutzt. Der Autor der Statistik, David Hammond, ist um sachliche Kritik bemüht und liefert sich seit langer Zeit Schlachten mit denjenigen, die seine Statistik für die eine oder andere Richtung missbrauchen.
Momentan jedenfalls kochen einmal wieder irrationale Ressentiments gegen Microsoft und die IE-Programmierer hoch. Diese verbreitete Interpretation der Zahlen halte ich für unfair:
Kann es sein, daß Microsofts Entwicklungsabteilung mit dem falschen Personal bestückt wurde?
Meiner Meinung nach haben sich diese Stimmen nicht mit dem IE-Team und den Entwicklungen der letzten Jahre auseinandergesetzt. Microsoft hat eine kleine Kehrtwende damit vollzogen, indem die Entwicklung des IEs nun öffentlich abläuft. Dabei hat das Programmiererteam nie irgendwelche Illusionen gemacht – es war immer klar, dass der IE nicht plötzlich von 51% CSS-Unterstützung auf Gecko- oder Opera-Niveau springt. Die neuerliche Empörung darüber, dass der IE 7 ebenfalls weit abgeschlagen hinterherhinken wird, ist daher völlig künstlich. Es ging bei der Verbesserung der Standard-Unterstützung lediglich darum, die dringendsten CSS-Fehler zu reparieren, die am meisten beim praktischen CSS-Einsatz schmerzen. Das war das Ziel und dies wurde geschafft – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Gut gefallen hat mir der Kommentar von Chris Wilson, dem Leiter des IE-Entwicklungsteams, in seinem privaten Weblog:
IE and CSS "Compliance"
Er sieht die Arbeit seines Teams unterschätzt, indem sie auf abschätzige Zahlen reduziert wird. I believe it is simply wrong to think that we’ve only moved the needle 2%. … I feel that we’ve addressed the biggest problems and shortcomings from IE6 for web developers and designers, and we’re hard at work shipping IE7 and getting ready to doing it again in the next release.
. Chris kritisiert auch der Aussagekräftigkeit der Statistiken hinsichtlich der Praxis: [Any] “statistical analysis” of support is by nature biased. How do bugs count against you?
Ebenso helfe ihm die Statistik nicht dabei, den IE zu verbessern: Most unfortunately, there are no more details on many of the problems David encountered, or test cases that my team can test against. When I contacted David a year or so ago, he couldn’t give me any further details, so I’m not even sure how we make progress against that site.
Alle verlinken die Statistik mit einem wütenden Fluch gegen den IE und das IE-Team, aber die wenigsten interessieren sich für David Hammonds Intentionen und Meinungen. In seinem Weblog hat Hammond die durch seine Statistik ausgelösten Zornesäußerungen kommentiert:
Recent criticism over IE7 CSS support
Hammond, bekanntlich kein Freund des IE-Browsers, weist die Kritik am IE-Entwicklerteam scharf zurück und sieht seine Statistiken missverstanden:
In a somewhat rare move, I must come to Microsoft’s defense on this one. … [It] isn’t really the fault of Microsoft’s current efforts, but its past efforts (or lack thereof). … Yes, Internet Explorer’s standards support is still abysmal compared to Firefox and Opera, and at this rate it looks to be so for many more versions to come. But I don’t see any reason to chastise Microsoft for what they’re currently doing.
In den Kommentaren bei digg.com fasst Hammond dies zusammen:
[It's] completely unreasonable to expect any development team to bring something like IE6 up to Firefox's and Opera's level of standards support in this relatively short amount of time. IE7 improved over IE6 about as much as the latest versions of Firefox and Opera improved over their predecessors. Today's problems are mainly due to Microsoft's past actions of supporting CSS wrongly at a fundamental level and cutting off development efforts for so long.
If Gecko or Presto (Opera) developers had done what Microsoft did, regardless of the amount of effort put into them today, they would also have a darn tough time clawing back into the competition. CSS 2.1 is a very large and complex standard, and it's simply unreasonable to expect any development team with any amount of resources to support it overnight.
Die irrationale Wut der Webautoren mag ihre verständlichen Gründe haben, schließlich wird Webdesign mit dem IE 7 auch weiterhin Schwierigkeiten aufwerfen. Während vernünftige Kritik an der weiterhin schlechten Standard-Unterstützung des IE also zulässig und nötig ist, gehen die üblichen Anti-Microsoft-Reflexe in die falsche Richtung.
Eine brauchbare Praxiseinschätzung der CSS-Neuerungen des IE 7 findet sich bei The Styleworks von Klaus Langenberg. Leider bezieht sich diese Übersicht auf eine ältere Beta-Version, z.B. wird der IE 7 definitiv max-width und min-width unterstützen.
Nachtrag
Die 10 wichtigsten IE7-Neuerungen und Details on our CSS changes for IE7 (IE-Team-Weblog)