Hallo Gregor,
- Man braucht einen Server.
Das interpretiere ich mal woertlich im Sinne von Server-Hosting oder Server-Housing. Bei den Anforderungen, die an etwas aufwendigere und groessere Projekte gestellt werden, ist das naemlich heute in der Tat der Fall. Ich weiss schon gar nicht mehr, wie wir bis vor einem Jahr mit "virtual hosting" leben konnten *g*. Zwar hat so ein eigener Server auch Nachteile, wie man zwischen den Jahren an diesem hier sehen konnte, aber das sind letztlich technisch/logistische Probleme, die man im Laufe der Zeit besser in den Griff kriegen kann. Zwar bieten viele Provider auch bei virtual-Hosting-Angeboten oft "dies und das optional" an, doch wenn man es dann tatsaechlich haben will, bekommt man es nicht, weil mal wieder keiner vor Ort ist, der in der sich traut, entsprechende Software-Erweiterungen auf dem Kundenserver zu installieren oder neu zu konfigurieren.
Mittlerweile ist Server-Hosting oder Server-Housing aber so bezahlbar geworden, dass es sich fuer groessere Projekte wirklich lohnt.
- Man braucht einen Programmierer, der HTML, Javascript, Perl, PHP, und MySql (SQL) beherrscht und sich zudem möglichst auch unter UNIX gut zurechtfindet.
Mir persoenlich kommt es manchmal so vor, als sei vor allem die "Mittelschicht" dieser Knowlegde-Bereiche zu stark vertreten. Alle finden Programmieren toll, aber die wenigsten nur sind wirklich gute Programmierer, die in die Tiefen der Materie einsteigen und wissen, wo welche Programmierung angemessen ist. So wird vieles in JavaScript programmiert aus reinem Spieltrieb, wo eigentlich HTML und CSS voellig ausreichen wuerden. Anderswo werden fuer Text-Inhalte von 30 A4-Seiten aufwendige Loesungen mit MySQL und PHP erstellt - meistens auch nur, um die Programmierlust irgendeines Bastlers zu befriedigen ... die saubere Verlinkung und Gliederung der Inhalte bleibt dagegen auf der Strecke.
Was dagegen wirklich fehlt, ist mehr Verstaendnis fuer Unix und die heute im Web bedeutsamen Derivate davon. Daran ist leider auch die Unix-Gemeinde mit schuld, die in jahrelanger Einsamkeit zum Teil Riten und Dokumentationsformen hervorgebracht hat, die sich einfach nicht fuer den Ansturm und das Interesse der "normalen User" eignen. Die Idee eines SELFUNIX ist deshalb wirklich gar nicht so schlecht ;-)
- Man braucht einen Garfiker, der in der Lage ist, ein ansprechendes Layout zu erstellen.
Naja, gut, bei Auftragsprojekten fuer den Markteting-Fritzen des Auftraggebers, ja. Aber insgesamt wird die Rolle der "tollen Optik" glaube ich viel zu sehr ueberschaetzt. Die meisten User benutzen ein Web-Angebot doch wie einen Bus: sie steigen ein, lassen sich wohin fahren, und steigen wieder aus. Ob der Bus blau oder rot oder kariert ist, interessiert sie doch nur sehr am Rande. Viel wichtiger scheint mir beim Design-Aspekt die Rolle der Usability zu sein. Auf den Bus uebertragen: Klare Anzeigen, welche Haltestelle die naechste ist, bequeme Sitzplaetze und zumindest Haltegriffe in staendiger Naehe, viele Knoepfe fuer "bitte halten bei der naechsten Haltestelle", und Raum fuer Kinderwagen, Rampen fuer Rollstuehle usw.
- Man braucht einen Redakteur, der in der Lage ist, den Inhalt so interessant zu gestalten, daß der potentielle Konsument des Webangebotes, sollte er es denn einmal gefunden haben, diese auch mit Interesse warnimmt, was mich gleich zu 5. bringt.
Bei grossen Angeboten wird man mit einem Redakteur kaum auskommen. Hinter Heise-Online, Spiegel-Online und Konsorten stecken meist zwanzig und mehr Redakteure, die ausserdem noch vom Fundus der dahinter stehenden traditionellen Zeitschriften profitieren koennen. Hier im Selfaktuell-Raum passiert beispielsweise auch noch immer viel zu wenig redaktionell. Die typischen Wiederkomm-User stuerzen sich hier fast nur auf das Forum. Leider bekommen manche davon schon gar mehr nicht mit, dass es hier noch mehr als nur das Forum gibt. Angebote, die von redaktionellen Inhalten wirklich leben, muessen eigentlich taeglich Neues bringen, sonst werden sie kaum wahrgenommen. Das erklaert wohl auch die Beliebtheit der Web-Tagebuecher. Das kann zwar ein einzelner redaktionell gesehen betreiben, aber fuer die User sind solche Angebote nur deshalb interessant, weil es eben taeglich oder fast taeglich neues Lesefutter gibt.
Man kann natuerlich auch eine ganz andere Einstellung zu den Seitenbesuchern haben und sagen: "ich brauche keine Immerwiederkommer. Es reicht mir, wenn meine Inhalte hin und wieder z.B. in Suchmaschinen gefunden und gelesen werden". Bei wissenschaftlichen Angeboten ist so etwas z.B. der Fall.
- Man braucht einen einigermaßen stattlich gefüllten Geldbeutel, um das Webangebot netzextern werbetechnisch so zu pushen, daß ein möglichst grosser Prozentsatz der potentiellen Konsumenten überhaupt erst einmal davon weiß.
Das ist in der Tat ein Problem mittlerweile. Die Flut der Web-Angebote macht es nicht gerade leicht fuer einzelne davon, aus der Flut aufzutauchen und ins Licht der "wenigen bekannten Angebote" zu gelangen. Mit hoher Qualitaet kann man zwar auf das Motto hoffen "echter Content setzt sich auf Dauer von selber durch". Aber die Frage ist, welches Web-Angebot sich leisten kann, so lange zu warten und in dieser Zeit aber den Anspruch des "echten Contents" zu erfuellen, ohne allzuviel User zu haben. Mit einem fertigen, monographischen Werk geht das vielleicht, aber mit einem aktuellen, magazin-artigen Web-Angebot ist das kaum zu schaffen.
Andererseits ist es interessant, wie manche Startups Millionen in Werbung investierten, nur um bekannt zu werden im Web, aber es stellte sich heraus, dass man Web-Adressen nicht so einfach in die Koepfe der Menschen bekommt wie Produktnamen. Es kommt zwar oft vor, dass jemand (sei es bewusst oder unterbewusst) beim naechsten Mal im Supermarkt ein Produkt kauft, das besonders viel Werbung gemacht hat in letzter Zeit. Aber es kommt offensichtlich viel seltener vor, dass jemand beim naechsten Mal, wo sein Cursor sich in der URL-Zeile des Browsers befindet, eine Adresse eingibt, die er aus der Werbung kennt.
Bekanntwerden im Web ist eine vielschichtige Angelegenheit. Ich glaube, man muss das Web auf jeden Fall sehr gut kennen, um es heute mit einem neu an den Start gehenden Angebot so weit zu bringen. Mit Hurrageschrei und "jetzt kommen wir" landete jedenfalls bislang noch alles auf der Nase. Geschicklichkeit und vor allem Anerkennung der typischen Gepflogenheiten und Sitten im Web sind da ganz wichtig.
Sollte man es tatsächlich schaffen, alle Punkte von 1. bis 6. zu erfüllen, hat man letztlich noch das Problem, dieses Angebot aufrecht zu erhalten, wofür wieder einmal Geld nötig ist, denn wenn die Rechnung bis 6. aufgeht, ist die Seite so frequentiert, daß der Provider über das Traffic stolpert und zu Kasse bittet, es ei denn, man hat seinen eigenen Server, den man allerdings auch mit nicht zu verachtenden Unkosten für eine ordentliche Standleitung betreiben muß.
Oh ja, das ist wahr! Nun hab ich in der letzten c't einen Bericht ueber die neuen Power-User der DSL-Flatrates gelesen. Die saugen pro Monat nicht selten mehrere dutzend GBs pro Zugang aus dem Netz. Angesichts dessen relativiert es sich irgendwie wieder, wenn ein groesseres Web-Angebot mehrere Dutzend GBs im Monat Traffic verursacht - also genau so viel, wie ein einziger Power-User an Videos und MP3s schluerft. Aber GBs kosten halt immer noch Geld - im Grosseinkauf vielleicht noch 3, 4 Euro, aber fuer kleinere Provider oft noch 10 und mehr Euro. Die meisten groesseren Projekte sind fuer sie hostende Provider nur durch Querkalkulation finanzierbar, sprich: 1 Kunde verbratet 100 GB Traffic im Monat mit seinem Web-Angeobt, aber 50 andere Kunden nur 1 GB - das macht etwas ueber 3 GB pro Kunde und ist dann so weit akzeptabel. Aber was, wenn die 1-GB-Kunden auf den Trichter kommen, dass sie eigentlich nur so viel zahlen, um Querfinanzierungen groesserer Angebote mitzutragen?
viele Fragen und viele Gruesse ;-)
Stefan Muenz