Hi Lude,
Du hast ja vielleicht Recht, aber manchmal einfach eine nervige Art, zumindest eine andere Art von Nervigkeit als ich *g*
Dein Problem besteht einfach darin,
Irgendwie nervt mich sowas; woher weißt Du, welche Probleme ich habe?
dass Du nicht daran zu glauben scheinst, dass alles nur Evolution ist.
"Die einzige Wissenschaft ist die Wissenschaft von der Geschichte."
Karl Marx
Das gefällt mir etwas besser als Deine Formulierung aufgrund der vielen möglichen Assoziationen zum Begriff "Evolution".
Ich vertrete nicht die Auffassung, dass es religiös oder anders begründbare ewige Moralgesetze gibt, da gebe ich Dir also Recht.
Was ich als Dummheit bezeichne ist etwas anderes: Es gibt mit den vor über zweihundert Jahren formulierten "human rights" einen Minimalstandard menschlichen Zusammenlebens, den ich nicht aufgrund von billligen Konstruktionen jedesmal neu diskutieren will. Ich meine moralische Debatten vom Format der Befragung von Wehrdienstverweigerern (Gibt's die eigentlich heute noch?):
"Sie sind also gegen den Krieg? Was würden Sie aber machen, wenn Sie mit Ihrer Freundin durch den Wald gehen, und plötzlich springt ein splitternackter Russe mit seiner Kalaschnikov hinter einem Baum hervor, und will Ihre Freundin vergewaltigen."
Bei Dir war das analoge Beispiel die Atombombe in Berlin. *fg*
Vielleicht wäre die Axiomatik der Mathematik ein Vergleichspunkt. Natürlich hat auch die eine Geschichte, natürlich kann man darüber diskutieren, wenn man's kann, aber wenn ein Mathematikstudent im ersten Semester meint, erstmal eine neue Grundlegung der Mathematik entwickeln zu müssen, bevor er auch nur die Grundbegriffe kapiert hat, ist das eben nur Dummheit.
Es gibt gewisse Standards, die jede demokratische Verfassung der letzten 200 Jahre übernommen, vielleicht leicht modifiziert und auf die aktuellen Gegebenheiten angepasst hat, und die nicht jeder Streifenpolizist oder ein sonstiger Vertreter der Exekutive mal eben in Frage stellen darf, sondern an die er sich buchstabengetreu zu halten hat.
Zur Geschichte:
Der ehemalige NS-Marinerichter und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Dr. Hans Karl Filbinger, hat in der Zeit des RAF-Terrorismus die Debatte angezettelt, ob man nicht Folter einsetzen solle, um die Nation zu schützen. In vielen Bereichen wurden damals mit viel Hysterie und großem Gefasel Grundrechte außer Kraft gesetzt, Wohnungen durchsucht, über den Einsatz der Bundeswehr gegen Terroristen diskutiert usw. Die angestrebten Ziele wurden nicht erreicht, die Einschränkung der Rechte der normalen Bundesbürger in verschiedenen Bereichen erschien im Nachhinein eher als Ziel denn als Mittel zum Zweck.
Diese Debatte reaktualisiert sich heute im Weltmaßstab: Ist nicht angesichts der Ereignisse vom 11. September jedes Unrecht Recht, muss man jetzt nicht endgültig alberne und veraltete Moralvorstellungen außer Kraft setzen, um dem Terror endlich Einhalt zu gebieten?
Realiter richtet sich die gesamte Argumentation an die Dummen: Natürlich geht es im Irak um andere Dinge als um Bekämpfung von Al Quaida und die Wiederherstellung der Menschenrechte. Die moralische Debatte verkommt zum Propagandainstrument. Ist sich die US-Regierung eigentlich nicht nur deshalb so sicher, dass Saddam Hussein in bestimmtem Umfang über Massenvernichtungswaffen besitzen müsste, weil sie selbst an der Herstellung und Lieferung beteiligt war? Wird nicht in Wirklichkeit das vorgebene Ziel, nämlich die Verteidigung der Menschenrechte gegen irrationale Aggressoren auf verschiedenen Ebenen in Frage gestellt, etwa indem man die UNO-Waffenkontrolleure zum Instrument der Kriegsvorbereitung macht, sozusagen als legale Spionageabteilung, wenn der Entschluss zum Angriff eh schon feststeht?
Auch die kleinen Leute im Irak haben das Recht auf Unversehrtheit, wer stellt eigentlich mal die Frage nach der Bedrohung ihrer Gesundheit und ihres Lebens, schon durch das Embargo, dass offensichtlich das Regime in Bagdad am allerwenigsten getroffen hat? Wird auch nur ansatzweise aus der Perspektive diskutiert, wie man die Diktatur Saddams beseitigen kann, ohne so viele Menschen ins Unglück zu stürzen?
Ich wüßte ein einfaches Mittel, eine simple und klare Strategie: Moralität in der Politik der Mächtigen in dem Sinne, dass man prinzipiell keine solchen Gangster und Diktatoren unterstützt, auch wenn es im Sinne kurzsichtiger Machtstrategien immer mal wieder opportun erscheint. Wieviele blutrünstige Diktatoren unterstützt man heute massiv mit Geld und Waffen, nur um ihre Zustimmung zur aktuellen US-Strategie einzukaufen? In 15 Jahren diskutieren wir dann wieder, ob man sie nicht endlich militärisch beseitigen sollte, wenn sie die gesamte Opposition ermordet und die Nachbarländer mit Krieg überzogen haben.... Wer auf jede dieser Debatten hereinfällt, disqualifiziert sich in meinen Augen intellektuell.
(Zumindest glaube ich daran; oder kannst Du mir was besseres anbieten? (Aber bitte nichts Religioeses) :-)
Vielleicht kannst Du Dich mit meinem axiomatischen Ansatz anfreunden. Vielleicht gibt es auch andere Begründungsmöglichkeiten, etwa die demokratische Grundlegung unserer Verfassung, die Erfahrungen der Geschichte, wohin totalitäre Systeme führen, vielleicht auch einfach Dein persönlicher Anspruch, jederzeit offen und frei Deine Meinung vertreten zu können.
Oder hättest Du ein großes Vergnügen an einem Internet à la China oder Saudi Arabien? Da säßest Du mit Deiner frechen Schnauze schon längst hinter Gittern, nein kein *g*, das ist die einfache und klare Wahrheit. Vielleicht säßen wir in einer Zelle und könnten in aller Ruhe die Foltermaßnahmen diskutieren, mit denen wir in den nächsten Tagen zu rechnen haben. Wir leben hier ja in einer derart hektischen Zeit!
Viele Grüße
Mathias Bigge
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Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.