Hi fastix®,
"We don't need no walls, to keep our people in."
Allein schon das Errichten eines Hindernisses bewirkt beim geistig hinreichend gesundem Menschen einen gewissen Drang eben dieses zu überwinden.
Das ist mir zu einfach. Du hast Glück gehabt und konntest gerade rechtzeitig reisen, als Du alt genug warst. Es hat mir viel bedeutet, als junger Kerl die Welt sehen zu können, nach Holland zu fahren, mit einem hübschen Mädchen verliebt nach Paris, in die kommunistischen Länder, nach Italien. Das war den Gleichaltrigen im Osten durch eine Art landesweiten Knast unmöglich.
Die Mauer war eine moralische Bankrotterklärung des Sowjetkommunismus, nicht die erste und nicht die letzte. Die erste, die ich bewusst wahrgenommen habe, war der Einmarsch des Warschauer Pakts in die CSSR und die Zerschlagung der Dubcek-Bewegung für einen freiheitlichen und modernen Sozialismus.
Später habe ich dann nachgelesen, über die Lager in der Stalin-Zeit, über den Leidensweg vieler russischer Kriegsgefangener, die aus dem deutschen Konzentrationslagern direkt nach Sibirien weiterverfrachtet wurden. Wie viele der Komunisten, die in Buchenwald überlebt hatten und zuerst in der DDR eine Rolle gespielt hatten, doch noch in den Sowjetlagern endeten, wurde in der DDR-Gedenkstätte nicht dokumentiert, auch nicht, dass die Sowjets Buchenwald gleich nach dem Krieg weiter als Lager benutzt haben, übrigens mit einer ähnlichen Kill-Rate wie die Nazis.
Das Sowjetsystem war lange vor Hitler nur noch eine absolute Diktatur ungekannten Ausmaßes, weil sie nicht nur das politische und militärische Leben, sondern auch die Bedürfnisse jedes Einzelnen kontrollierte. Das soll kein Vergleich in dem Sinne sein, wer schlimmer war, das macht wenig Sinn angesichts der Millionen Opfer. Aber die Realität des zweiten Drittels des 20. Jahrhunderts war die Welt der Konzentrationslager, die sich über den halben Planeten zogen, der organisierte Mord an Millionen von Menschen, der Terror als Regierungsprinzip.
Die derzeitige Wirtschaftsform führt ja jetzt schon ganz offensichtlich dazu, dass es weniger zu verteilen gibt. Immer mehr Arbeitslose und sinkende Realeinkommen sind ein Zeugnis dafür, wie es klarer nicht sein kann. Der Wohlstandszenit dieser Gesellschaft ist überschritten, sie muss und wird sich verändern.
Kapitalismus ist permanente Revolution, natürlich gegen die Natur des Menschen, der versucht, sich in einer bekannten Situation häuslich niederzulassen. Deshalb gab und gibt es immer wieder Protest, Krisen und Widerstand. Und Kapitalismus erzeugt ungleiche Verteilung von Reichtum, durchläuft Krisen und Verteilungskämpfe, hier in Deutschland aber zunehmend auch über nationale Grenzen hinweg.
Auf der anderen Seite entfesselt der Kapitalismus die Produktivkräfte, zum Wohl und zum Unheil des Menschen. Viele von den Jungen hier vergessen, dass die gesmte IT-Welt, die Atomtechnologie, das Privatfernsehen, Industrieroboter, Gentechnologie usw. erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden sind. Was daraus entsteht, ist nicht vorhersagbar, zumindest zeichnet sich aber ab, dass die Welt neue Steuerungs- und Kontrollmechanismen braucht, damit die Technologieentwicklung nicht zur Katastrophe für die Mehrheit wird. Dafür müssen wir uns einsetzen, denke ich.
... die Wiedervereinigung ... barg Chancen, die einfach nicht genutzt wurden
Es wurde sicher vieles falsch gemacht, vor allem von der CDU/FDP-Regierung zu viel Geld unkontrolliert unter die Leute gestreut, Wohlstand auf Pump hergestellt, so dass heute die Enttäuschung um so bitterer ist.
Jetzt fehlen diese Mittel, um gezielt etwas unternehmen zu können, um Reformen einzuleiten, die den Namen verdienen, auch im Westen.
Wie kann ich mich im Angesicht der überheblichen Missachtung eines Ackermanns, Zwickel (dem ich den Verrat besonders übel nehme), Bohlens, zweier Schuhmachers, irgendwelcher Quandt- Erben und etlicher anderer lediglich reich Geborener gegenüber denen, die deren Reichtum erwirtschaftet haben, hier glücklich fühlen?
Die Zusammenstellung Deines Wachsfigurenkabinetts finde ich ehrlich gesagt schon etwas skurril *g*
Glaubt wirklich irgendjemand, die Montagsdemos richten sich gegen Hartz IV? Das ist ein tragischer Irrtum: 1989 musste lange nicht nur die Mauer weg.
Das denke ich auch. Aber noch sind es nicht die Betroffenen, die auf die Straße gehen, zumindest im Westen, sondern eher engagierte Studenten und Gerwerkschaftsleute. Ein wirklicher Widerstand würde entstehen, wenn die Betroffenen sich nicht länger ohne Murren deklassieren ließen. Eine spannende Situation. Die politische Klasse braucht Druck, davon bin ich fest überzeugt.
"Wir sind das Volk!" heisst: "Ihr habt nicht das Recht im Namen des deutschen Volkes zu handeln- gebt uns die Macht zurück." Sag ich mal.
In der DDR war die Parole natürlich viel anspielungsreicher als hier und heute und bezog sich direkt auf die Ideologie der "Volks"demokratie. Ich würde mir wirklich bescheuert vorkommen, durch Dortmund zu rennen und "Wir sind das Volk!" zu jubeln. Da fand ich "Raus aus der Nato, rein ins Vergnügen!" oder "Amis raus aus USA, Winnetou ist wieder da!" schon unterhaltsamer. Na, es werden sich schon Formen entwickeln. Eine Kopie des DDR-Aufstandes, der sehr klare und einfache Ziele hatte ("Die Mauer muss weg!"), dürfte für unsere Verhältnisse kaum ausreichen....
Viele Grüße
Mathias Bigge