Hallo lina!
Wie soll ich - als dritte Generation nach dem ganzen "Bockmist" - Selbstbewusstsein entwickeln, wenn ich über das Geschehene nur weiss "es war böse".
Ich habe in der Schule nicht viel über Nazi-Deutschland gelernt (ehrlich gesagt wusste ich bis grad eben nicht was am 8. Mai passiert ist - google sei dank hat sich dieser Umstand geändert *g*) - aber den erhobenen Finger habe ich ständig gesehen. "Nazis waren böse, das darf nicht wieder vorkommen" etc... Alles grundvernünftige Aussagen.
Und, 8. Mai Kapitulation Nazideutschlands oder Befreiung von der Diktatur [mathematisches oder]?
Aber _niemand_ hat mir damals gesagt, _warum_ das alles geschehen ist.
Wann, damals ;-)
Ich finde es interessant und gleichermaßen erschreckend, dass es Lehrer gibt, die in Geschichte anscheinend nur Geschichten, aber keine Hintergründe vermitteln, dabei sind es doch gerade Hintergründe, die nötig sind, um Geschichte zu verstehen. Ich befürchte allerdings fast, dass gerade dies in manchen Schulformen oder Schulverordnungen zu kurz kommt.
Wie kam es dazu, dass sich ein ganzes Volk einer dummen Idee angeschlossen hat?
Man hat uns den Film "Schindlers Liste" im Geschichtsunterricht gezeigt. Der hat mir aufgezeigt wie böse die Zeit war (als ob ich das nicht schon gewusst hätte) - aber meine Fragen konnte er nicht beantworten. Die Lehrer gaben sich nicht die Mühe, Fragen zu beantworten.
Schwaches Zeugnis für deine Lehrer und Mitleid für dich; wie soll man denn bei so etwas als Schüler motiviert werden?
Mittlerweile habe ich mich bemüht, mir meine Fragen selber zu beantworten.
Diese Form der „Notwehr“ ist in solch einer Situation für den Schüler der einzige Ausweg, aber dafür funktioniert er 100%ig: Dinge, die man sich selbst beigebracht hat, behält man besser im Kopf.
Worauf ich hinaus will: Meine Mitschüler von damals sind heute Mini-Nazis. Sie wissen sehr wohl, dass Nazis böse sind - und darum bestreiten sie auch, solche zu sein. Aber Parolen wie "Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen", "Weg mit Behinderten" sind an einem Freitag abend Gang und Gäbe. Warum? Weil es ihnen schlecht geht, sie keine Arbeit haben und ihren Hass loswerden wollen.
Was wohl noch dazukommt ist, dass sie am Stammtisch weder Ausländer noch Behinderte sitzen haben und in ihrem Leben diese wahrscheinlich praktisch kaum auftreten. Weiterhin ist der Mensch für einfache Parolen, die Lösungen suggerieren, generell empfänglicher, als für komplizierte Lösungen des gleichen Sachverhaltes. „Deutsche Arbeitsplätze zuerst an Deutsche“ ist eine „klarere Lösung“ des Problemes Arbeitslosigkeit als sich zu überlegen, weshalb Stellen abgebaut und verlagert werden, weshalb durch privaten Konsum keine Arbeitsplätze geschaffen werden, … Interessanterweise hat dies mit dem Bildungsgrad primär nichts zu tun. Schlimmerweise haben in den letzten Jahren Gruppierungen am rechten Rand dieses Potenzial des Anbietens von einfachen Lösungen für eine immer komplexer werdende Welt erkannt und nutzen dies aus, begünstigt durch den Rückzug des Staates; als Beispiel seien hier Jugendzentren genannt.
Das macht mich traurig. Wir haben nichts gelernt und der erhobene Zeigefinger wird nicht in Verbindung mit dem eigenen Verhalten gebracht. Ich wiederhole meine Eingangsfrage: Woher sollen wir das Selbstbewusstsein nehmen?
Das ist eine gute Frage, da nationales Selbstbewusstsein in Deutschland eine heikle Angelegenheit ist. Ein großes Problem dabei ist meiner Meinung nach allerdings einerseits eine Tabuisierung unserer Geschichte, andererseits eine fehlende Konsequenz. Ein Beispiel: Der Spruch »Jedem das Seine«, lateinisch »suum cuique«, ist seit seines Missbrauches durch die Nazis „Bäh-Pfui“, obwohl dessen Inhalt nicht primär negativ anzusehen ist. Auf der anderen Seite sprechen viele Menschen aber im Zusammenhang mit dem 9. November 1938 von „Reichskristallnacht“, ebenso gibt es immer noch geltende Gesetze aus der Nazizeit, z.B. das Verbot der Rechtsberatung für Nicht-Anwälte. Eine abgeschlossene Entnazifizierung wäre ein guter Anfang zu nationalem Selbstbewusstsein.
Weiterhin sollten wir Deutschen lernen, kleine Brötchen zu backen, statt „Führung oder gar nichts (Zögern)“, das schafft auch Selbstbewusstsein. Was ich damit sagen will: Bei der Fußball-WM vor vier Jahren stand meine Heimatstadt halb quer, als die Türkei den dritten Platz belegte. Einen Tag später allerdings wurde Deutschland _Vize-Weltmeister_, wir waren (und sind es noch bis zum Sommer) die zweitbeste Fußball-Mannschaft der Welt; gefeiert wurde allerdings kaum, es war ausgesprochen ruhig, weil wir „nur“ Zweiter geworden sind. Gleiches kann man in vielen anderen Sportarten beobachten – in der Wirtschaft sieht es kaum anders aus: Wie viele Erfindungen stammen ursprünglich aus Deutschland, wurden allerdings mangels eindeutiger Erfolgsaussichten nicht verwirklicht? Wenn man natürlich sagt, „ein kleiner Erfolg ist auch ein Erfolg“, wird sich dieser viel häufiger und eher einstellen. Und was schafft Selbstbewusstsein, wenn nicht Erfolg?
Nur wie man das mit einem Volk vieler Nörgler, Entscheidungsfeinde und der BILD-Zeitung umsetzen kann, überfordert mich, aber jeder kleine Anfang ist ein Anfang, wir brauchen und sollten kein Patentrezept für jetzt auf sofort suchen.
(BTW: Es gibt schon eins: 42 ;-) )
Viele Grüße,
Robert