Vertragserfüllungsprobleme - Schadenersatz - Gutachter?
Martin Sch.
- recht
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Hallo,
ich bräuchte mal den Rat der Selbständigen unter Euch.
Gesetzt folgender Fall: eine Agentur bietet eine Webanwendung, basierend auf einer Open-Source-Software an, mit zahlreichen Modifizierungen für spezifische Kundenwünsche. Sie engagiert dafür einen freien Mitarbeiter, der beim Briefing dabei ist und die Hauptkompetenz und Hauptarbeit der Programmierung übernimmt.
Es kommt zu erheblichen Problemen bei der Umsetzung: Die Kundenanforderungen stellen sich nachträglich als weit komplexer heraus als gedacht, das Pflichtenheft und die Auftragsbestätigung ist leider zu schwammig formuliert um das abzufangen. Man hat sich schlicht auf Seiten der Agentur und auch des Freelancers übernommen, wie es scheint. Die Situation exkaliert, Termine sind weit überschritten, der Kunde tobt. Es sieht so aus, als ob der Vertrag überhaupt nicht mehr auch nur halbwegs zu erfüllen wäre.
Welche Optionen hat man auf Agenturseite? Was ist der worst case? (Konventionalstrafen sind nicht vereinbart, aber man ist ja wohl verpflichtet zu erfüllen oder der Kunde läßt anderswo erfüllen und die Agentur zahlt?) Würde es etwas bringen, einen Gutachter zu engagieren, der prüft, ob die Kundenanforderungen unter den gegebenen Bedingungen überhaupt erfüllbar sind? Wo bekäme man in diesem Fall so einen Gutachter her? Was sind die Pflichten des Freelancers, der einen Pauschalvertrag zur Ablieferung der Leistung hat (natürlich ähnlich schwammig wie das Pflichtenheft)?
Wie ihr seht, reichlich ratlos. Habt Ihr Erfahrungen mit sowas? Danke für ein paar aufmunternde Worte und evtl. ein paar Ratschläge aus der Praxis zu den gegebenen Handlungsalternativen.
Martin
Wie ihr seht, reichlich ratlos. Habt Ihr Erfahrungen mit sowas? Danke für ein paar aufmunternde Worte und evtl. ein paar Ratschläge aus der Praxis zu den gegebenen Handlungsalternativen.
Erst mal vorweg: Ich bin kein Jurist.
Allerdings sind mir die beschriebenen Szenarien durchaus bekannt, in aller Regel ist in der gegebenen Situation (drei Parteien: Kunde, Agentur, freiberufl. MA) nach meiner Erfahrung juristisch nicht viel zu machen, der Vertrag wird so zu sagen aufgelöst.
Ursachenforschung kann sehr teuer werden, Gutachterkosten + Gerichtskosten machen die Schuldfragenlösung unattraktiv. Meist haben sowieso alle Schuld. ;)
Also, den Sachverhalt intern aufarbeiten, ein mea culpa einbauen und in der Erfahrungsdatenhaltung ablegen.
Jetzt habe ich doch glatt den Tipp vergessen: Abschliessendes Gespräch mit dem vor Wut tobenden Kunden suchen, eventuell einen Mediator hinzuziehen, auf Biegen und Brechen eigene Emotionalität im Gespräch vermeiden und dem Kunden klar machen, dass dieser auf dem Rechtswege nichts holen wird, also versuchen "die Sache zuzumachen".
Bestmöglich auseinandergehen!
Hallo Martin,
klingt ja nach ner echten Erfolgsstory. Sorry, aber ich male mir nur gerade das Bild aus, wie den Verantwortlichen im Laufe des Projekts der Arsch immer mehr auf Grundeis gelaufen ist. ;-)))
Welche Optionen hat man auf Agenturseite? Was ist der worst case? (Konventionalstrafen sind nicht vereinbart, aber man ist ja wohl verpflichtet zu erfüllen oder der Kunde läßt anderswo erfüllen und die Agentur zahlt?)
Anderswo erfüllen und die Agentur zahlen lassen leuchtet mir nicht ein. Das kann im Einzelfall rechtlich natürlich sehr kniffelig werden, aber grundsätzlich würde ich mal davon ausgehen, dass der Kunde die Agentur wechselt und die alte Agentur in die Röhre guckt und leer ausgeht. Damit hat es sich dann auch. Denn wer könnte klagen? Die Agentur, weil sie Zahlungen für nicht erbrachte Leistungen fordert? Wohl kaum. Der Kunde, weil er eine andere Agentur beauftragt? Auch unwahrscheinlich, wenn keine Konventionalstrafen vereinbar wurden.
Der Vertrag sieht ja vor: Anwendung im Tausch gegen Kohle.
Ergo: Keine Anwendung, keine Kohle.
Würde es etwas bringen, einen Gutachter zu engagieren, der prüft, ob die Kundenanforderungen unter den gegebenen Bedingungen überhaupt erfüllbar sind? Wo bekäme man in diesem Fall so einen Gutachter her? Was sind die Pflichten des Freelancers, der einen Pauschalvertrag zur Ablieferung der Leistung hat (natürlich ähnlich schwammig wie das Pflichtenheft)?
Wozu einen Gutachter? Was soll der denn begutachten? Der kann doch auch nur feststellen, dass sich die Angentur gnadenlos übernommen hat - und das wissen wir ja schon. Selbst wenn die gegebenen Bedingungen per se nicht zu erfüllen sind (weil sie z.B. der weltlichen Physik widersprechen oder Techniken voraussetzen, die erst im nächsten Jahrtausend erfunden werden), ändert das auch nichts. Die Angentur hätte das IM VORFELD korrekt beurteilen müssen.
Was nun den Freelancer angeht, gilt eigentlich das Gleiche. Das Verhältnis Kunde-->Agentur und Agentur-->Freelancer ist ja in vielen Belangen identisch. Auch hier gilt meines Erachtens: Keine Anwendung, keine Kohle. Auch der Freelancer konnte ja offensichtlich seine Vertragspflichten nicht erfüllen, und somit braucht das auch die Agentur nicht zu tun. Konventionalstrafen düften in diesem Vertragsverhältnis ja wohl auch nicht bedacht worden sein.
Der einzig Dumme in diesem heillosen Dilemma ist eigentlich der Kunde, weil er auf seine niegelnageneue Anwendung nun noch etwas warten muss. Agentur und Freelancer sind jedenfalls selbst schuld und haben keinerlei Ansprüche zu stellen. So stellt sich der Sachverhalt mir zumindest dar.
Ich würds mal mit gesundem Menschenverstand versuchen: geht nach Hause, schämt Euch und hofft, dass bald Gras über die Sache wächst. ;-)
MfG
Gargamel
Hi,
Anderswo erfüllen und die Agentur zahlen lassen leuchtet mir nicht ein.
Ergibt sich aus meiner Sicht aus § 634 BGB: Rechte des Bestellers bei Mängeln:
"Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist, nach § 637 den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen."
Gruß,
Martin
nabend,
bin auch kein Jurist, also bitte ich meine Ausführungen nicht ungeprüft anzuwenden. Im BWL lernte ich, daß es nicht ratsam ist selbst zu versuchen mit dem AGB gegen Anwälte zu argumentieren. Fast alle § schließen sich irgendwo gegenseitig aus und die interpretation eines Normalesterblichen ist oft sehr weit von der juristischen Auslegbarkeit entfernt.
Ergibt sich aus meiner Sicht aus § 634 BGB: Rechte des Bestellers bei Mängeln:
"Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist, nach § 637 den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen."
als gegenstück könnte dies auch zutrefen:
§ 320 - Einrede des nicht erfüllten Vertrags
(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. Hat die Leistung an mehrere zu erfolgen, so kann dem einzelnen der ihm gebührende Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigert werden. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 findet keine Anwendung.
(2) Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.
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mE. müsste er um einen anspruch auf einwandfreie lieferung haben ja auch bezahlt haben. Du kannst als Kunde nicht einerseits deinen eigenen Vertragspflichten nicht nachkommen, die ware behalten und dann noch zusatzlich die ERstattung der Kosten für Beseitigung der Mängel verlangen. Wenn das Pflichtenheft aber schwamig formuliert ist, sollte es doch kein großes Problem sein die Rechnung so zu formulieren das alle gestellten erfordernisse erfüllt sind. Es klingt deinen ausführungen zufolge so, daß der Auftrag mehrmals erweitert wurde, was in dieser Branche ja nicht gerade selten Vorkommt aber aus einem Knappen Pflichtenheft nur schwer abzuleiten sein sollte.
Ich schließe mich aber den Vorrednern an, daß es am sinnvollsten ist, rechtzeitig -schriftlich- auf Mehrkosten hinzuweisen wenn sich der Vertragsumfang erhöht. Also stets Nachtragsangebote schriftlich bestätigen lassen.
Grüße, Sokrates
Tachchen!
Was hindert die Agentur, dem Freelancer eine Frist zu setzen und anschließend
zurückzutreten? Das hat die Agentur ja seitens des Kunden auch zu befürchten.
Zudem ist nicht auszuschließen, dass Schadensersatz an den Kunden
zu leisten ist ... allerdings sollte weitgehend ein Regress gegenüber dem
Freelancer möglich sein?
Gruß
Die schwarze Piste
Hi,
Wie ihr seht, reichlich ratlos. Habt Ihr Erfahrungen mit sowas? Danke für ein paar aufmunternde Worte und evtl. ein paar Ratschläge aus der Praxis zu den gegebenen Handlungsalternativen.
bei mir betrifft es zwar seltener Webanwendungen, sondern eher Windows-Anwendungen; aber das Problem dürfte in etwas das gleiche sein. Ich kenne es, dass Kunden ab und an auf den Geschmack kommen und Funktionen implementiert haben möchten, die so am Anfang noch nicht vorgesehen waren.
Neben den normalen Vorgängen wie Anfrage, Angebot, Pflichtenheft, usw. habe ich mir angewöhnt, mit den Kunden einen höflichen und verbindlichen, aber trotzdem möglichst lockeren Umgang zu pflegen, bei dem der Kunde aber immer merkt, dass er im Mittelpunkt steht. Dadurch kann ich dem Kunden verdeutlichen, dass auch Sonderwünsche verwirklicht werden können, das aber (überspitzt dargestellt) einen Hunni extra kostet. Damit bin ich in der Vergangenheit immer gut gefahren.
Das hilft Dir im konkreten Fall sicher nicht weiter, aber vielleicht konnte das ein Hinweis für die Zukunft sein.
Viele Grüße
Jörg