Biesterfeld: Technik & "Menschliches Versagen"

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Hej,

Bitte erkläre mir Deine Sorgen, die die grüne Biotechnologie in dir hervorruft. Ich bin mir sicher, dass sich die meisten Missverständnisse aus dem Weg räumen lassen.

Unsere heutige Flora und Fauna hat sich im Laufe von Jahrmillionen entwickelt [1]; Entschieden, welches Gen wofür zuständig ist usw. usf.
Dabei wurde auch viel Ausschuss produziert, Kombinationen von Genen, die sich einfach als nicht lebensfähig oder gar schädlich erwiesen haben - und die deshalb wieder ad acta gelegt und aussortiert werden mussten.

Auch wenn du es nicht so gemeint haben solltest, es ist bereits die Wortwahl die das Problem in die falsche Richtung lenkt: Die Natur "trifft" in diesem Sinne keine Entscheidungen, sie lässt geschehen. Die Emergenz neuer Gensequenzen ist eine Vorgang, der in jeder lebenden Zelle die dieser Planet beheimatet, ständig stattfindet und in Abhängigkeit der Umweltparameter sehr präzise stochastisch verteilt ist.

Und jetzt wollen wir Menschen daherkommen, und bei irgendwelchen Organismen, und letzten Endes vermutlich sogar auch bei uns selber, mal einfach lustig Gen X abschalten und Gen Y verändern ...?

Zur Beurteilung dessen ist es zunächst wichtig zu wissen, wofür die Gene eigentlich verantwortlich sind. Das vereinfachte Dogma der Molekularbiologie sieht vor, dass Gene in einem Zweistufenprozess verwandelt werden, nämlich in Proteine. Zwar ist das nicht die einzige Aufgabe von genomischen Material, es kann z.B. durchaus auch regulatorische oder strukturelle Aufgaben in der Zelle übernehmen, aber letzendlich ist das gesamte System "Genom" auf die Produktion von Protein ausgerichtet.

Das heisst, dass wir die Gesamte Diskussion vom Gendesign hin zum Proteindesign verlagern können. Leider wird dies in der Öffentlichkeit nicht hinreichend betrieben. Ein Gen weiß fast jeder (oder vielmehr glaubt fast jeder zu wissen) zuzuordnen. Ein Gen ist eine atomare (im Sinne von unteilbare) Einheit der Erbsubstanz. Was ein Protein ist wissen schon nur noch die wenigsten. Auch ich kann im moment nicht voraussetzen, dass jeder der hier mitliest weiß was ein Protein ist. Proteine nehmen innerhalb der Zelle mehrere Funktionen war:

* Strukturproteine, also Bausteine der Zelle
  * Regulatoren, wie z.B. in Form einer Reihe von Hormonen
  * Katalysatoren, den sogenannten Enzymen, die in einer Zelle chemische Reaktionen veranlassen

Wenn wir also von der Manipulation von Proteinen sprechen, reden wir letztendlich von der Manipulation von Zellulären Strukturen, Zellulärer Regulation oder der gezielten Umsetzung chemischer Reaktionen.

Wozu? Im Bereich der Mikrobiologie wird dies sehr erfolgreich vorgemacht: Z.B. war Humaninsulin, das Erste rekombinant hergestellte Therapeutikum, welches mit Hilfe von Darmbakterien heutzutage im Kubikmeter-Maßstab produziert wird. Bei Pflanzen muss man drei Vorhaben unterscheiden: Food Design, welches z.B. im Gemüse auf natürliche Art und Weise z.B. Vitamine anreichert. Design Nachwachsender Rohstoffe, z.B. Raps der einen erhöhten Fett-Anteil erhalten soll. Oder aber natürliche Schädlingsresistenz.

Natürlich muss man die Frage stellen, ob man nicht einfach etwas mehr Obst, dafür nicht so hoch angereichert zu sich nehmen kann. Man kann Fragen, wie wir überhaupt in die Situation kamen unsere Autos inzwischen mit Rapsöl zu tanken. Und man muss sich genauso die Frage gefallen lassen wo die Ursachen für einen Weltnahrungsmangel liegen wie auch ob Schädlingsbekämpfung überhaupt sinnvoll ist. Aber soviel: Diese Fragen beantwortet man nicht dadurch, dass man Gentechnik mit der Aussage "Wer weiß da passieren kann" negiert. Auch nicht indem man wie in dem Ökoladen, an dem ich jeden morgen zur Uni vorbei radel "Genfreie" (sic!) Tomaten verkauft.

Also mir behagt dieser Gedanke nicht sonderlich - wie wollen wir voraussehen können, _was_ wir dabei eigentlich erschaffen?

Das ist genau die Rethorik die mich wütend macht. Nur weil die Rede von "Genen" und von "Evolution" ist, wird direkt Pandoras Büchse herbeizitiert. Aber bitte nochmal: Was sind deine Sorgen? _Genau_ ?

Dass wir unser mneschliches Genom und vielleicht auch noch das von ein paar Mäusen o.ä. "entschlüsselt" haben, ist seit noch nicht allzu langer Zeit der Fall - und schon wollen wir uns anmaßen, daran herumzuspielen?

Nein wollen wir nicht. Aber im Hinblick auf Alterskrankheiten, Erbkrankheiten und Viruserkrankungen sollten wir uns sehr wohl überlegen, ob wir diese Optionen Heilungsmöglichkeiten zu finden fahrlässig ausschlagen wollen. Diese Diskussion hat übrigens gar nichts mit der Diskussion zu tun, inwiefern es überhaupt genwünscht ist, für jede Krankheit eine Heilung zu entwickeln. Der steh ich im übrigen auch sehr viel kritischer gegenüber.

Im übrigen war die Sprache von irreperablen Schäden. Wo siehst du die im Fall der Mäuse?

An einem komplexen System, für dessen Entwicklung die Natur sich Jahrmillionen Zeit gelassen hat, wollen wir jetzt mit gerade mal ein paar Jahrzehnten "Erfahrung" und Wissen darüber manipulieren und Veränderungen vornehmen?

Hier spielt die Robustheit des Systemes eine entscheidende Rolle. Eben weil jedes biologische System ständig natürlichen Einflüssen ausgesetzt ist (wie z.B. dem ständigen Auftreten neuer Gensequenzen) sind evolutionär bedingt Mechanismen entstanden, die Emergenzen kontrolliert verpuffen oder ohne weiteren Einfluss auf das Gesamtsystem koexistieren lassen.
Aber in der Tat sprichst du gerade den wahrscheinlich wichtigsten Aspekt der  biowissenschaften des kommenden Jahrhunderts an: Das verstehen komplexer Systeme. Während die Arbeitsweise der Biologie in den letzten hundert Jahren immer reduktionistischer wurde, stehen wir heute an der Schwelle zum Wechsel  hin zu einer holistischen Auffassung biologischer Systeme. Mit diesem Verständnis welches sich gerade erst beginnt zu entwickeln werden wir eines Tages sehr genau wissen was wir tun. Dies aber wird nur in einem Klima freier Wissenschaften möglich sein.

Wer legt seine Hand dafür ins Feuer, dass das alles ungefährlich und die Ergebnisse vorhersehbar sind?

Niemand, aber bei der Beurteilung der möglichen Gefahren ist es nochmal wichtig zu wissen, was Genteschnik eigentlich detailiert bedeutet. Das designen neuer Proteine oder das manipulieren ihrer regulierten Expression unter kontrollierten Bedingungen erachte ich weitaus ungefährlicher, als die systematischen Eingriffe die wir in die Natur vornehmen: Dadurch, dass wir uns alle Lebensräume erschließen und zu Eigen machen, dadurch dass wir bewusst und unbewusst getrennte Lebensräume rekombinieren, dadurch dass wir unsere über Jahrmillionen enstandenen Resourcen mit einer nicht mehr aufhaltenden Akzeleration verschwenden. Das sind die ökologischen Probleme die uns ernsthafte Sorgen bereiten sollten. Und wer weiß... ich bin sogar voll der Hoffnung, dass es die Biotechnologie ist, die uns bei der Bewältigung dessen was auf uns zu kommt helfen wird.

Eine kurze Randbemerkung: Nicht zuletzt deswegen schreibe ich gerade in diesem Moment in dieser Wissenschaft meine Diplomarbeit zusammen.

Beste Grüße
Biesterfeld

--
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Das Kölsche Grundgesetz
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Technik & "Menschliches Versagen"

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                    „Grüne Biotechnologie“

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                    oder besser: "Tierisches" :-)

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                  For it's a jolly good fellow ... which nobody can deny!

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