Hi,
Politiker-Bashing ist ja soooooooo lustig.
Ja... die Frage ist, warum sich diese Vergleiche so vielen aufdrängen. Wie hoch mag wohl die Wahrscheinlichkeit sein, dass in einer Stichprobe von 10 Politikern mindestens 5 davon (im moralischen, nicht juristischen Sinn) ehrlich sind?
Ich halte es:
(a) für eine Modeerscheinung: Politiker sind i.d.R. alt, befassen sich nicht mit Themen, die für einen selbst von Interesse sind und haben u.U. keine/wenig Ahnung von anderen Feldern (z.B. Internet). Allerdings gibt es manchmal abweichende Meinungen, und es kommt zum Shitstorm. Diese sind ja mitunter doch recht unterhaltsam, und am Ende bleibt eben nur dieser im Gedächtnis.
Insbesonders: eine tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gesagten ist vielfach nicht möglich.
http://www.marinaslied.de/?p=627 ist eine sicherlich interessante Lektüre, die ich gestern auf G+ fand: hier werden die Probleme von Shitstorms nochmals thematisiert.
(b) verselbstständigter Stereotyp:
Es gibt eine "boulevarisierung" der Politik. Sobald persönliche Anschuldigungen wichtiger sind als die inhaltliche Diskussion, jeder Ausrutscher, den ein Politiker leistet schwerer wiegt als alle guten Argumente (insb. in Verbindung mit (a)) sorgt dafür, dass sich Politiker demgegenüber auch anpassen. Wo gibt es denn Mechanismen, welche die Politiker dazu bringen, mit "uns" offen (und ehrlich) zu diskutieren, wenn "wir" ein solches Verhalten gar nicht honorieren?
Im Gegenteil: Talkshow-Präsenz wird als positiv ausgemacht, auch wenn da außer sehr (sehr) platten Kommentaren gar nichts kommt, schon gar keine inhaltliche Diskussion (dazu braucht man nur mal eine Show mit Herrn Ernst sehen, wenn es um Hartz4 geht). Wo sind die Mechanismen (welche ja auch wir schaffen können), bei denen wir uns inhaltlich mit den Themen der Politiker auseinandersetzen?
"Wir" schaffen es ja nicht mal "untereinander", gepflogen zu diskutieren; schau mal ins heise.de oder SPON-Forum, um Beispiele unsere Kommunikationskultur zu finden.
(c) Politik ist komplex; schwierige Probleme erfordern schwierige Lösungen. Schwierige Lösungen sind manchmal schwierig zu erklären (aka: "Für jedes schwierige Problem gibt es eine einfache Lösung, und sie ist in der Regel falsch.")
Dazu verweise ich mal auf den SPIEGEL vom 12.09., Seite 34; ein guter Artikel von Dirk Kurbjuweit: "Niemand ist unerschrocken", Untertitel: "Für die Lösung der Euro-Krise gibt es keine Vorbilder". Ich zitiere mal dreist: "Die 620 Abgeordneten bekommen zwar Ratschläge alter Kämpen[...], aber die haben nicht erlebt, was jetzt passiert. [...] Sie müssen auch ohne brauchbare Hilfe von Experten entscheiden. [...] Da es keine Vergangenheit in dieser Sache gibt, gibt es auch keine verlässlichen Experten."
Es ist sicher, dass es zu solchen Fragen (hier geht es um die Abstimmung zum EFSF) viele Meinungen gibt. Es ist nicht hilfreich, einige als populistisch zu brandmarken (manchmal habe ich das Gefühl, alle Meinungen außer der eigenen werden tlw. als populistisch ausgemacht).
(d) Repräsentative Demokratie:
Ein weiteres Problem, was solche Bilder befördert, ist sicherlich unsere indirekte Demokratie. Ich will dazu mal zwei Parteien vergleichen: eine "Voll-Programm-Partei" und eine "Partikular-Interessen-Partei".
Ich finde es vglw. einfach, eine Partei für Partikularinteressen zu gründen. Ich habe ein populäres/interessantes/wichtiges Thema und mache dazu eine Themenpartei. Weil ich mich zu wenig äußere, kann ich auch wenig anecken. Von einer Partei in der Regierung aber erwarte ich, dass sie alle Politikfelder abdeckt. D.h., ich muss Positionen entwickeln auf Politikfeldern, welche keinerlei positive Außenwirkung besitzen (nimm als Beispiel mal das Gesundheitsministerium: ich behaupte, dass es nie(!) eine Reform geben wird, welche alle zufriedenstellt oder wo es keinen Aufschrei irgendeiner Seite gibt). Und dadurch wird eine Voll-Programm-Partei angreifbar. Es ist einfacher, einer Partie zuzustimmen, welche zu 100% meiner Meinung ist (die angesprochende Ein-Themen-Partei), als eine, die es vielleicht nur zu 50% tut (die Voll-Programm-Partei).
(e) "Hinterzimmer-Politik":
ich werde einige Gegensätze nicht verstehen: wenn eine Regierung immer einstimmig stimmt, dann nur wegen "Fraktionszwang", und alle Parlamentarier wurden dazu gebracht, so zu stimmen ("Hinterbänkler sind Stimmvieh"); wenn sie es nicht tut, ist eine Regierung zerstritten. Wenn es Kampfabstimmungen gibt, ist eine Partei zerrissen; gibt es keine, fehlen Personen oder die Partei ist undemokratisch. Sagt der/die Bundeskanzlerin, wo es langgeht, ist es "Basta-Politik"; hört er/sie bis zum Ende zu und bildet sich anhand der Diskussion eine Meinung, ist er/sie der "große Zauderer ohne Vision".
All diese Brandmarkungen bewirken, dass Politiker lieber im Hinterzimmer in Ruhe ihre Diskussionen führen, anstatt dies in der Öffentlichkeit zu tun. Und als Dank dafür wird Ihnen i.d.R. Mauschelei vorgeworfen.
Wir sollten Verständnis mit unseren Politikern aufbringen, einen offenen Diskurs führen, und sie, wenn sie auch nach der Diskussion immer noch nicht unserer Meinung sind, einfach nicht mehr wählen.
Ich war in den letzten fünf Jahren auf kommunaler Ebene politisch aktiv. Die Art und Weise, wie man (selbst als "Freizeit-Politiker", wie ich einer war), auf einer persönlichen Ebene angegangen wird, ist nicht mehr feierlich und hat mich desillusioniert). Unser ganzes System (und da sind wir als Wähler nicht unschuldig) befördert die Politiker in dem, was und wie sie es tun. Es ist (und das sage ich mit großem Bedauern) für Politiker leider vollkommen verständlich und auch rational, wie sie handeln. Und deshalb mache ich ihnen keinen Vorwurf.
Bis die Tage,
Matti